Kolumne Juni 2011
In Bahrain gibt es „viele nette Leute“. Wen könnte Formel-1-Greis Bernie Ecclestone wohl damit gemeint haben, als er jüngst die Neuauflage des Grand Prix im Wüstenstaat auf den 30. Oktober bejubelte. Bestimmt nicht die Mehrheit der rebellierenden Schiiten, die ihm schon seit Februar im wahrsten Sinne des Wortes die Tour vermasseln. Wohl eher die Macht habenden Sunniten im Lande. Wer fürs Image 25 Millionen Dollar für ein Formel 1-Rennen locker macht, dem verzeiht man auch ein paar Tote.
Dem glaubt man gern, dass der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, und „eine stabile und ruhige Lage“ vorzufinden sei. Kein Wunder, wenn die Aufständischen seit Monaten durch Truppen der Saudis zum Schweigen gebracht werden. Der Internationale Automobil-Verband FIA schwingt sich sogar zum Heilsbringer auf: „Der Grand Prix kann dabei helfen, die Menschen zu vereinen.“ Zynischer und menschenverachtender geht‘s kaum noch.
Statt mit einem klaren Boykott den Aufständischen Rückenwind zu geben und das diktatorisch regierende Königshaus auszubremsen, drückt Ecclestone in eigener Sache wieder kräftig auf die Tube. Ohne Rücksicht auf die politischen Verhältnisse und die Umwelt sowieso nicht, will er seine zwanzig Rennen bis in die Adventszeit durchziehen. Dass sich im Fahrerlager gegen die Wiederaufnahme des Rennens zarter Widerstand regt, hat ja nichts mit schlechtem Gewissen, sondern eher mit ihren Überstunden zu tun. Schließlich schuften „unsere Jungs seit Januar und hätten dann bis Weihnachten keine Zeit für Urlaub“, stellt sich der Mercedes-Teamchef vor seine rasenden Schützlinge. Die Menschenrechtsverletzungen in Bahrain hat er jedenfalls nicht auf seiner Rechnung.
Bisher bilden Rubens Barrichello und Vettels Teamkollege Marc Webber eine Ausnahme, wenn der auf seiner Homepage an die soziale Verantwortung der Formel-1 appelliert. Doch die Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Erst kommen die Moneten, dann erst die Moral. Nicht zuletzt in seinem Rennstall. So verleiht doch Red Bull Sebastian Vettel nicht nur Flügel für seine Siege, sondern trägt ihn auch über alle Bedenken hinweg. Wer wie er seine Millionen im Steuerparadies Monaco parkt, den plagt wohl auch sonst kein Gewissen.
Denn den nötigen Rückhalt bekommen er und seine Kollegen schließlich von all den Fans. Weder die 30.000 privilegierten Gaffer in Bahrain noch RTL mit seinen Millionen Zuschauern werden wegen ein paar Demonstrationen fernab der Heimat auf den Irrsinn auf vier Rädern verzichten. Mag sich die Qualitätspresse auch noch so kritisch über den Termin in Bahrain und die mangelnde Moral des Formel 1-Zirkus äußern, die Autoverrückten erreicht es nicht. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass auch die kritischsten Blätter auf ihren Sportseiten dann wieder breit über dieses Spektakel berichten werden. Natürlich mit Begeisterung für die Helden der Rennstrecke und mit Nichtbeachtung für die Helden der Straße, die in Bahrain unter Lebensgefahr gegen Unterdrückung und für Meinungsfreiheit demonstriert haben. Gibt es eigentlich niemanden, der endlich diese Irrfahrten stoppt?
Auch wenn Ecclestone neuerdings wieder zurückrudert, endgültig entschieden ist noch gar nichts.
An diesem Wochenende beraten die Formel-1-Manager beim Grand Prix von Montreal noch einmal über das Rennen in Bahrain. Dann wird sich herausstellen, ob die ewigen Verlockungen des großen Geldes doch noch über alle weltweiten Proteste triumphieren.