Kolumne 25. August 2011
In Berlin brennen Autos. Fast Nacht für Nacht. Keiner darf sich daran gewöhnen, auch wenn die Flammen noch so schön bis in die Tagesschau lodern.
Es ist nicht nur politischer Terror, der da die Lunte an unsere Gesellschaft legt. Seit Kleinwagen und das Lieferauto des Gemüsehändlers zerstört werden, ist zu vermuten, dass die Zahl der Trittbrettzündler steigt und gelegentlich auch ein Entsorgungsproblem auf versicherungstechnisch kriminelle Weise geregelt wird.
Doch da in der Hauptstadt gerade Wahlen anstehen, kommen für einige die Feuerteufel offenbar zur rechten Zeit. „Erst Autos – und dann?“ heißt es ziemlich perfide auf einem blau-gelben Plakat, als wäre es 1933 auch um nichts anderes gegangen als um das Abbrennen von Symbolen des Bürgerwohlstands. Man sollte es den Kreativen einer Werbeagentur nicht durchgehen lassen, dass der Geschichtsunterricht bei ihnen offenbar kaum Spuren in der Erinnerung und im politischen Gewissen hinterlassen hat. Spätestens vom Generalsekretär einer Partei der Besserverdienenden hätte man aber erwarten können, dass das Plakat schon als Entwurf still entsorgt und ein neues Motiv in Auftrag gegeben wird. Vorschlag: „Hände weg von meinem Wagen. Darum FDP wählen“ Das wäre eine ehrliche Aussage mit hohem Stimmenfängerpotential, ist doch das Auto der deutschen allerliebstes Kind.
Ähnliches hatte wohl auch die CDU im Sinn, als sie statt der üblichen Porträts, an denen man sich schon nach zehn Laternen satt gesehen hat, ein Tempo 30 -Verkehrsschild wählte. Die Botschaft lautet „Mit den Grünen hier demnächst 30. Besser CDU wählen.“ Endlich ein Plakat mit Folgen, denn etliche Autofahrer haben angesichts des realistisch abgebildeten Verkehrsschildes einen Impuls im rechten Fuß verspürt – und fuhren fortan diese verordnete Geschwindigkeit. Damit hat eine Partei geschafft, was sonst nur in endlos langen Debatten über verkehrsberuhigte Zonen in Wohngebieten durchgesetzt werden kann. Endlich ein Beweis, dass Wahlplakate nützlich sein können, auch wenn es nicht so gemeint war.
Seit Jahrzehnten mache ich nun schon Plakate . Genau solange wird das Plakat auch totgesagt. Doch diese Berliner Plakataktion beweist, dass es tatsächlich eine Wirkung entfalten kann, wenn es eine Botschaft riskiert.
Das bösartige NPD-Motiv „Gas geben!“ versucht auch Wirkung zu erzielen: ganz konkret mit der Assoziation zur Holocaustleugnung in der braunen Anhängerschaft.
Peinlich genug, dass die Rechtspopulisten über Wochen optisch das Stadtbild beherrschen können und Touristen aus aller Welt mit Naziparolen verschrecken dürfen.
Was würde eigentlich passieren, wenn die im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien sich einmal darauf einigten, auf teure Waschmittelwerbung zu verzichten und alternativ Bürgerinnen und Bürger einladen, in Kreativkursen ihre eigenen Plakate mit den für sie wichtigen Themen zu entwickeln? Es kämen dabei sicher Motive heraus, über die sich dann inhaltlich gut streiten ließe.
Und später gäbe es möglicherweise einige Wahlbürger mehr, für die es sich lohnt, statt der sprachlosen Kandidatenfotos wieder eine lesenswerte Botschaft aufs Plakat zu drucken. Werbeforscher wollen zwei Sekunden als durchschnittliche Betrachtungsdauer ermittelt haben. Bei dem derzeitigen Angebot reichen diese auch aus, um „Berlin zu verstehen.