Kolumne 9. Januar 2012
„Wenn jemand in ‚Bunte’ nicht vorkommt, kommt er unter Umständen auch im öffentlichen Bewusstsein nicht vor“ orakelte schon vor fünf Jahren Patricia Riehl, Chefredakteurin des kunterbunten Wochenblattes. Was für die Promipostille mit Bewegungszwang in Wartezimmern aller Art gilt, kann selbstverständlich auch für das Massenblatt BILD gelten. Hat doch schon ein ehemaliger Bundeskanzler offenherzig bekannt, dass er zum Regieren nur „BILD, Bams und die Glotze“ brauche.
Sogar ein saarländischer Links-Politiker war sich nicht zu schade, dieser populistischen Wurfsendung mit einem „Herz für Kinder“ als Kolumnist zu dienen. Ganz zu schweigen von der Großfeministin Alice S., die sich trotz täglicher Titelnackedeis und schlüpfriger Pornoanzeigen gleich in verschiedenen Rollen bei Deutschlands größter Drucksache verdingte. Die Zahl ist Legion, die mit BILD einen Deal machten oder glaubten, einen Deal machen zu können: aus Aufmerksamkeitssucht oder ganz schlicht aus Feigheit. Der Platz hier würde nicht ausreichen, um all die mir persönlich bekannten Kameraden aufzuzählen, die diesem Blatt zwar in tiefer Verachtung verbunden sind, aber trotzdem am Telefon stramm-verkrampft Haltung annehmen, wenn sich BILD meldet. Hat sich doch in die Seelen der meisten öffentlichen Personen die Behauptung eingeschlichen, ohne diesen medialen Gerichtshof ginge es nicht.
Dabei haben die einschlägigen Akteure aus dem Springer-Hochhaus ihren Paternoster-Fahrgästen immer mit auf den Weg gegeben: „Wer mit uns (im Fahrstuhl) hochfährt, fährt mit uns auch wieder runter“. Na und?! Jetzt fährt nun der amtierende Bundespräsident mit seinen vermeintlichen Freunden eben wieder abwärts. Ich kann darin insoweit noch kein regelwidriges Verhalten erkennen. Spätestens seit dem Fall des Malers Jörg Immendorff konnte man dieses Schema kennen. Er war einer der ersten Künstler, der exklusiv für das Blatt eine ganze Seite gestaltete, mit anschließender Signierstunde. Das hat ihn jedoch keineswegs davor geschützt, tagelang auf den Titelseiten wegen seines vermeintlichen orgiastischen Treibens geradezu verfolgt zu werden. Wer also immer noch glaubt, mit BILD einen Deal machen zu können, dem ist nun wirklich nicht mehr zu helfen.
Irgendwann wird es auch Bohlen, Beckenbauer, Kerner und Gottschalk erwischen. Ja, auch unser aller Thomas, der nun nicht mehr wetten will. In einer schon seit Monaten laufenden Imagecampagne unter dem Slogan „Bild Dir Deine Meinung“ meldet er sich auffällig gewunden mit folgender Botschaft an die Massen: „BILD HAT MICH ERST ZUR SCHNECKE GEMACHT UND DANN ZUM ‚TITAN’! WER IN DEUTSCHLAND WAS WERDEN WILL, MUSS DA DURCH!“
Nein, lieber Thomas, MUSS ER NICHT! Das mag vielleicht für Angsthasen und Feiglinge gelten – Gegenbeispiele gibt es genug. Zwar beteiligen sich an dieser Werbekampagne prominente Sportler, Moderatoren, TV-Bruzzler, Dauer-Talker, Alt-Rocker, Modejunkies, Comedy-Kasper, Stargeiger, Konzernchefs, Profiboxer bis zu einem ehemaligen Außenminister und einem amtierenden allzeit bereiten Politiker der Linken. Da lobe ich mir doch zwei couragierte Frauen: Charlotte Roche und Judith Holofernes. Seit Günter Wallraff haben sich derart nur wenige mit dem Kartell angelegt. Was ich gar nicht mehr hören kann, ist das Gejammer über BILD als neuen Gralshüter der Meinungsfreiheit und seine nun voll ausgelebte Meinungsführerschaft. All jenen, die jetzt Krokodilstränen über diesen Zustand vergießen, sei nur zugerufen: Ihr habt es doch soweit kommen, habt es doch zugelassen. Nun lebt damit oder ändert es.