Deutsche Geschichte

Kolumne November 2012

Oft habe ich mich gefragt, wann ist eigentlich ein Krieg zu Ende: mit der Entschärfung des letzten Blindgängers, dem Tod des letzten Zeitzeugen, dem Abschluss eines Friedensvertrages oder dem Beginn eines neuen Krieges?

Befragt nach den Stationen seines 98jährigen Lebens beschrieb kürzlich der Maler Karl Otto Götz, Lehrer von so weltbekannten Künstlern wie Sigmar Polke und Gerhard Richter, einen wesentlichen Abschnitt so: „…wurde ich zum Militär eingezogen, neun Jahre Lebenszeit haben sie mir gestohlen“. Fast zeitgleich las ich im Anzeigenteil der FAZ eine jener In Memoriam-Anzeigen, die sofort auffallen, weil sie uniform mit dem Eisernen Kreuz versehen sind. Irgendwann vor mehr als zehn Jahren habe ich damit angefangen, diese Zeitdokumente zu sammeln. Dieses besondere Kreuz ist mir seit meiner Kindheit vertraut. Schon immer ein eifriger Zeitungsleser, kann ich mich gut an die zahlreichen Anzeigen mit jenem Symbol erinnern, in denen unablässig der Heldentod fürs Vaterland gestorben wurde. Denn damals starb ein Soldat ja nicht, er fiel. Erst nach 1945 wird wieder ganz alltäglich gestorben.

In nicht wenigen dieser Dokumente der Trauer und Erinnerung gut 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird noch einmal auf den alten Sprachgebrauch zurückgegriffen. Da ist der meist sehr junge Vater, Bruder, Onkel, Vetter wieder gefallen, südlich des Ladogasees/ Russland, in Winniza/Russland, bei Polumino, nördl. Rshew, in Heiligenbeil/Ostpreußen, in Krutsch bei Orel, vor Petersburg, bei Kretschno/Wolchow, vor Narwa, im Raum Isjum/Ukraine, im Harz. Andere gelten bis heute als verschollen und vermisst an der Ostfront, in Rumänien, in Mittelitalien, oder abgestürzt in der Normandie. Vertreten sind fast alle Waffengattungen und militärischen Ränge. 

Während es der größte Teil der Hinterbliebenen bei schlichten Trauerbekundungen bewenden lässt, wollen wenige auf patriotische Bekenntnisse nicht verzichten. „Er gab sein Leben für Deutschland“, heißt es da. Und „Er setzte sein Leben für seine ostpreußische Heimat und sein Vaterland ein“, sowie „Du gabst Dein Leben für Heimat und Vaterland“. Ein ehem. Angehöriger der „Kompanie Oesau“ gab 1998 per Gedenk-Anzeige zu Protokoll: „Sie opferten ihr Leben für das Vaterland, das heute die Verunglimpfung seiner Soldaten duldet“.

Ganz anders klingt es in einer Anzeige aus dem Jahr 2007: „Vor 66 Jahren starb unser Vater einen sinnlosen Tod“. Noch deutlicher erinnern 2001 zwei Geschwister an ihre beiden in Russland getöteten Brüder: „Sie gaben ihr Leben in gutem Glauben für ihr Vaterland und wussten nicht, dass sie einem verbrecherischen Regime dienten“.

Beeindruckt hat mich die mit Sowjetstern und Eisernem Kreuz versehene Anzeige aus dem Jahr 2005: „Zur Versöhnung und zum Gedenken an zwei wunderbare Menschen, die uns durch unsere Eltern vertraut sind, meinem Onkel Michail B., Leutnant der Sowjetarmee, verschollen im Sommer 1941 in Kiew – meinem Onkel Wilhelm K., Unteroffizier, vermisst in Stalingrad 1943. Sie glaubten an das Gute im Menschen und wurden wider Willen in einen Krieg verwickelt“.

Es fehlen – wer bemerkt es überhaupt – die Deserteure, die von Standgerichten erschossenen Kriegsdienstverweigerer. Sie sind immer noch kaum einer Erinnerung wert. Die Gesellschaft hat ihnen über Jahrzehnte die Anerkennung verweigert, sie mit dem Makel der Verräter geächtet.

Deutsche Geschichte im Anzeigenteil einer Tageszeitung.

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