Kolumne 14. Februar 2013
Seit 49 Jahren verdanken wir dem Grimme-Institut des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, dass es uns den Weg zu gutem Fernsehen weist. Es beruft Auswahlgremien, die in seinem Auftrag Sendungen nominieren, „die für die Programmpraxis vorbildlich und modellhaft sind“. Wenn nun in diesem Jahr das Dschungelcamp durch einstimmigen Juryentscheid die höchsten Weihen deutschen Qualitätsfernsehens erfahren sollte, wird das nur wenige ernsthaft erschrecken.
Bis zu acht Millionen Zuschauer pro Abend können nicht irren – was wichtiger ist: Der Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49jährigen lag bei sagenhaften 39,8%. Der Grimme-Preis, koste es auch ein Stück seines guten Rufs, darf sich in seiner Jubiläumsbilanz anrechnen, er sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen mit der Nobilitierung eines Fernsehformats, das auf perfide Weise von der öffentlichen Demütigung und Selbstentblößung seiner nicht nur Maden fressenden Kandidaten lebt.
Hans Hoff, freier Fernsehkritiker, Vorsitzender der Nominierungskommission im Fach Unterhaltung verteidigt tumbdreist die Entscheidung seiner Mitjuroren und genießt seine Minuten-Bekanntheit. Gegenüber der ZEIT verkündigt er die Binsenweisheit: „In den letzten Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark verändert“. Das spiegele die Sendung auf mehreren Ebenen. Wie bitte? Die zynische Geschäftsidee mit der finanziellen Not abgehalfterter C-Promis soll unser aller Zusammenleben spiegeln? Um diese krude These zu unterfüttern wird noch eingewendet, dass sich inzwischen auch viele Akademiker diese miese Show ansehen würden.
Die Analyse von Tomasz Konicz in heise.de kommt dem Phänomen da schon näher, wenn er feststellt: „Der Ekel ist somit zum medialen Massenallgemeingut geworden“. Das Dschungelcamp sei „ein Produkt der ‚Mitte‘, in der sich immer stärker die Wünsche regen, andere Menschen erniedrigt, gequält, unterworfen und ausgebeutet zu sehen“. Und weiter: „Ohne das krisenbedingt anschwellende Bedürfnis, Menschen im Dreck kriechen zu sehen, wäre das Dschungel-Camp eine Marginalie der Fernsehgeschichte geblieben“.
Wir sollten also die Sache schon ernst nehmen, weil das Camp und Dieter Bohlens Beleidigungsshows bereits zu unserem Alltag gehören wie die weit harmloseren Verirrungen qoutensüchtiger Programmmacher im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Seit ein Teil der dritten Programme auf dem Weg in die Heimattümelei unterwegs ist oder die Zoologischen Gärten bis zum letzten Gnu abfilmt, müssen Arte und 3sat für die Erfüllung des Kultur- und Bildungsauftrags herhalten. ARD und ZDF vertreiben schon zu lange mit ihrer Talkshowinflation den gutwilligsten Zuschauer, weil auch dieser an die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit kommt, wenn er an einem Abend von zwei aufeinanderfolgenden Rededuellen in absehbarer Besetzung z.B. von einem offenbar wie ein Tsunami über die Deutschen geschwappten Sexismus befreit werden soll. Jede noch so notwendige Debatte über reale Probleme in unserem Land kann via Talkshow und der tödlichen Wirkung des Überdrusses entschärft werden.
Erinnert sich noch jemand daran, wie der Henri-Nannen-Preis für herausragende journalistische Leistungen an BILD-Redakteure verliehen wurde? Aufgeregt hat man sich damals über einen anderen Preisträger, der Preis und Namensgeber entehrt sah. Vor dieser Peinlichkeit sollte man den Grimme-Preis schützen. Am 12.April wird deshalb mit der Preisverleihung auch über die Zukunft eines Maßstäbe setzenden Grimme-Instituts entschieden.