Das tote Meer

Kolumne Oktober 2013

Es gibt Bilder, die gehen einem einfach nicht aus dem Kopf. So geht es mir mit der Luftaufnahme von 27 afrikanischen Bootsflüchtlingen, die sich im Mai 2007 drei Tage und Nächte im Mittelmeer an ein Thunfischnetz klammerten. Schließlich wurden sie von der italienischen Marine gerettet und in ein Lager auf der Insel Lampedusa gebracht. Jener Ort, welcher der Not illegaler Einwanderer seit langem einen Namen gibt. Schon das dritte Mal erinnere ich öffentlich an besagtes Bild. 

Dieser makabre Zuständigkeitsstreit zwischen Malta und Libyen war seinerzeit Anlass für meine erste Kolumne. Zunächst wütend, war mein Kommentar zum selben Thema vier Jahre später eher bitter. Denn fast nichts hatte sich geändert. Im Gegenteil. FRONTEX, die auch schon mal illegal agierende europäische Grenzarmee, wurde weiter aufgerüstet, um der Festung Europa die unerwünschten Einwanderer notfalls mit Gewalt vom Leibe zu halten. Dabei ist es der in der EU vereinigte Bund von Staaten, der keine Mühe scheut, Afrika nach Kräften auszubeuten, den Bauern die Existenzgrundlage durch eine hochsubventionierte Agrarpolitik entzieht, den Fischern ihre Fanggründe nimmt und nie Skrupel hatte, auch mit den korruptesten mit Diktatoren zu paktieren.

Nun das zur Schau gestellte große Wehklagen nach der letzten Katastrophe mit mehr als 360 toten Flüchtlingen. Neben den allgemeinen Betroffenheitsritualen war wenig darüber zu hören, wie man die Einwanderung künftig menschenwürdig regeln will. Die Mittelmeeranrainer haben weiter den schwarzen Peter. Vor allem Deutschland ist gegenwärtig fein raus, da es von „Erstländern“ umzingelt ist, die laut Vertrag für die Überlebenden ausschließlich zuständig sind. Es bleibt mir ein Rätsel, wie es jemals zu dieser absurden Übereinkunft kommen konnte. Denn das Naheliegendste wäre eine Quotenregelung, gestaffelt nach der jeweiligen Einwohnerzahl eines Landes. Unterdessen wurde Lampedusa die Trauminsel, umgeben von einem toten Meer, in dem Jahr für Jahr geschätzt Tausende ihrem Traum von einem Leben ohne Not und Elend ihr Leben opfern. Gar nicht zu sprechen von den politisch verfolgten Flüchtlingen. 

Elf Tage und Nächte lang konnte ich jetzt aus meinem Bürofenster die mehr als 20 Hunger- und Durststreikenden auf dem Berliner Pariser Platz beobachten- wenn sie nicht gerade wegen eines Kreislaufkollapses vorübergehend im Krankenhaus waren. Es war nicht viel, was die Akademie der Künste an humanitärer Hilfe anbieten konnte. Immerhin ist es der Bedeutung des Platzes vor dem Brandenburger Tor geschuldet, dass es dieses Flüchtlings-Camp bis auf die Titelseiten und ins Fernsehen schaffte.

Nun haben die Erschöpften nach dem Versprechen der SPD-Gesprächspartner, in den beginnenden Koalitionsgesprächen die Flüchtlingsproblematik zum Thema zu machen, ihren Streik für drei Monate ausgesetzt. Zentrale Forderungen sind die oft langen Asylverfahren, die Abschaffung der Residenzpflicht und die Möglichkeit, früher als erlaubt zu arbeiten.

Natürlich weiß auch ich, dass nicht alle Hungernden und Entrechteten der Welt zu uns kommen können und jeder Flüchtling ein Hassobjekt für eine wachsende Zahl von Rechtsradikalen werden kann. Berlin-Hellersdorf lässt grüßen.

Europa definiert sich aber noch immer weitgehend als ein durch Aufklärung und Christentum geprägter Kontinent. Um weiter diesem Anspruch zu genügen, bedarf es dringend einer neuen europäischen Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, die diesen Namen verdient. 

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