Wegbleiben als Waffe?

Kolumne 17. Juni 2014

Was würde ein Boykott bringen? Diese Frage müssen sich Künstler stellen, die in der nächsten Woche zur „Manifesta“ nach St. Petersburg eingeladen sind. Legitimieren sie mit ihrer Teilnahme die russische Kulturpolitik, weil als Partner vor Ort die staatliche Eremitage  zuständig ist?
Solch einen Konflikt hatte ich 1976 auch mit mir auszutragen, als mich der legendäre DDR-Kunsthistoriker und Galerieleiter Klaus Werner in die Ostberliner „Arkade“  einlud.  Das hat mir im Westen bei einigen Leuten den Vorwurf der Kungelei  mit dem Honeckerstaat eingebracht.

Die Galerie wurde fünf Jahre später geschlossen, Werner suspendiert. Dass er nicht nur diese Ausstellung  durchgesetzt hatte, gehörte zu seinen Husarenstücken.
Vor einigen Tagen mußte ich mich in einer Gesprächsrunde des Deutschlandfunks an diese Episode erinnern, denn das Thema hieß, auf die „Manifesta“ bezogen, „Wegbleiben als Waffe“. Am Ende waren wir uns alle ziemlich einig, dass diese Waffe recht stumpf ist. Zwar wäre zu überlegen,  ob eine Teilnahme an der Eröffnungsgala  sinnvoll ist, aber der Einladung des Kurators Kasper König sollten jene Künstler folgen, die das mit ihrem Gewissen vereinbaren können und die mit ihrer Kunst Position beziehen wollen. Denn das ist doch letztlich der Sinn aller künstlerischen Arbeit – etwas zu zeigen, was man für notwendig hält, damit Einfluß zu nehmen auf die für Kunst Sensiblen, die man um eine Erfahrung bereichern möchte. Berthold Franke vom Goethe-Institut hat es so formuliert: „Man muss dorthin gehen, wo Spielräume sind. Man muss darum kämpfen, Spielräume zu schaffen.“
Schließlich findet die Ausstellung in St. Petersburg nicht für die Legitimierung Putinscher Selbstherrlichkeit statt sondern für eine Gesellschaft, die Kunst braucht, auch wenn sie sich dieser Notwendigkeit nicht immer bewußt ist.
Im November 2010 hatten wir Andrej Jerofejew in die Berliner Akademie der Künste eingeladen. Der abgesetzte Leiter der Abteilung Zeitgenössische Kunst an der Tretjakow Galerie war gerade gemeinsam mit dem Kurator Juri Samodurow nach zweijährigem Verfahren  von einem Moskauer Gericht zu hohen Geldstrafen verurteilt worden. Eine Ausstellung über zensierte Kunst hatte den Anlass geboten. Jerofejew erklärte uns, wie das Prinzip der Einschüchterung und Repression auf der einen, der Angst und der Selbstzensur auf der anderen Seite funktioniert. Obwohl das Verbot der Zensur in der Verfassung festgeschrieben ist, hat sich mit Beginn der Putin-Ära die Lage verschärft, Mechanismen für „eine neue Zensur in einem demokratischen Staat“ sind entstanden. Es findet sich eine kleine Gruppe von Personen, die behaupten, ihre religiösen Gefühle seien verletzt worden. Das muss nicht bewiesen werden, genügt jedoch, um eine Maschinerie von Polizeiaktionen und juristischen Ermittlungsverfahren in Gang zu setzen.
Gegenwärtig erleben wir, wie der russische Staat grenzüberschreitend per Internet bezahlte Blogger und die Abteilung „Spezpropaganda“ massiv einsetzt, um Russlandkritiker zu diffamieren.  Gerade hat es die 3sat-Kulturzeit-Redaktion erwischt, die als Teil des „Staatsfunks“  Kriegshetze betreibe.  Die Kampagne lässt keinen Zweifel an gesteuertem Vorgehen der Propagandaregisseure. Mal sehen, was aufmerksame und  kritische 3sat- Berichterstatter von der St. Petersburger „Manifesta“ an E-Mail-Shitstorm zu lesen bekommen. Ich wünsche ihnen schon mal gute Nerven.

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