Kolumne Mai 2015
Im Berliner Hauptbahnhof überraschte mich kürzlich ein riesiges Banner mit dem Porträt von Gerhard Schröder und dem Zitat: „Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem fordern“. Und eher kleingedruckt als eine Art Nebenzitat: „Kein Wohlstand ohne wirtschaftlichen Erfolg. Wir brauchen Wachstum, Innovation, Freiheit und Weltoffenheit. Das macht uns stark“. Im Kleingedruckten outet sich derAbsender der frohen Botschaften. Es ist ein alter Bekannter: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Wer verbirgt sich hinter dieser famosen Initiative? Fest steht, dass sieüber sehr viel Geld verfügen muss. Die jüngste Kampagne reiht sich ein in zahlreiche ebenso kostspielige Aktionen, die mehr der Desinformation als der Aufklärung dienen. Einmal aufmerksam geworden, fühlt man sich bald umzingelt von großflächigen Anzeigen in den Printmedien, weiteren Riesenpostern im Stadtraum und breit angelegten Internetauftritten.
Neben den Altkanzlern Gerhard Schröder und Helmut Schmidt rührt auch Willy Brandt die Werbetrommel mit dem Slogan „Demokratie braucht Leistung“. Unwillkürlich erinnere ich mich an ein altes FDP-Plakat „Damit sich Leistung wieder lohnt“. Wenn man weiß, wer sich als Auftraggeber hinter all diesem Werbezauber verbirgt, erscheint die Indienstnahme der sozialdemokratischen Politiker ziemlich kühn, wenn nicht gar dreist. Die drei Sozis bleiben nicht die einzigen Werbeikonen der besonderen Art. Sie werden eingereiht in einen Pulk von Professoren, Wirtschaftskapitänen und Verbandsfunktionären.
Die INSM ist ein Lobbyverein der Extraklasse, der – vergleichbar dem Ungeheuer von Loch Ness – in regelmäßigen Abständen sich mit spektakulären Aktionen in die Öffentlichkeit drängt und dann wieder abtaucht. Von Beginn an als unübersehbar neoliberale Kampftruppe aufgestellt wurde er vor 15 Jahren von den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie gegründet. Je nach Bedarf wird gerne Urvater Ludwig Erhard ins Schaufenster gestellt. Die Schlüsselbegriffe dieses Wohlstandsfördervereins waren stets Deregulierung und Privatisierung, ergänzt durch das ewige Mantra nach weniger Staat und noch mehr Markt. Dass sich die Bundeskanzlerin mit ihrem Credo von der ‚marktkonformen Demokratie‘ in dieses System bestens einschmiegt, liegt auf der Hand.
Als Partner und Schlagwortlieferant war über die Jahre das arbeitgeberfinanzierte „Institut der Deutschen Wirtschaft“ willig zu Diensten. Nicht verwunderlich, auch zwischen dem CDU-Wirtschaftsrat und der ISNM gibt es temporäre Wahlverwandtschaften. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade jetzt die Initiative wieder öffentlich in Erscheinung tritt. Am deutlichsten wird das in der aktuellen Botschaft des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Bringt er doch einesder derzeit heiß diskutierten Themen auf den Punkt, wenn er sagt: „Klare Regeln – echte Chancen: Ein starkes TTIP für Deutschland“. Wobei die Verfasser offenbar davon ausgehen, dass jeder weiß, dass sich hinter dem Kürzel TTIP das derzeit zwischen der EU und den USA verhandelte und höchst umstrittene Freihandelsabkommen verbirgt. Gestritten wird vor allem um die geplanten privaten Schiedsgerichte, mit deren Hilfe international agierende Konzerne bei missliebigen GesetzesvorhabenStaaten auf Schadenersatz verklagen können. Von den drohenden Eingriffen in die Daseinsvorsorge, die Umweltstandards und unsere Kulturförderung ist ganz zu schweigen.