Kolumne Juni 2015
Zu dieser Kolumne habe ich schon oft angesetzt und sie dann doch wieder beiseite gelegt. Stets gab es andere Prioritäten. Obwohl im vorgerückten Alter fällt mir die Beschäftigung mit dem Tod und dem Sterben noch schwer – oder gerade deshalb. Immerhin habe ich es notariell beglaubigt bereits zur Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht gebracht. Die Gefahr, einem fremdbestimmten Siechtum ausgeliefert zu sein, scheint gebannt. Anlass dieser Regelung „für den Fall, dass“, waren die juristischen Auseinandersetzungen um Koma-Patienten. Jedenfalls müssen jetzt Angehörige und Ärzte nicht mehr nach meinem „mutmaßlichen Patientenwillen“ fragen.
Die zahlreichen Debatten um die Sterbehilfe empfinde ich zunehmend als Bedrohung. Zumal mich noch nicht überzeugt, worin die unbedingte Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung bestehen soll. Ein Grund scheint das Vorgehen gegen sogenannte Sterbehilfevereine als Geschäftsmodell zu sein. Die einzelnen zur Abstimmung stehenden Entwürfe unterscheiden sich erheblich. Vor allem die weltanschaulich geprägten überzeugen mich nicht, weil sie das Selbstbestimmungsrecht in Frage stellen. Zwar sind wir ein abendländisch-christlich geprägtes Land. Man mag es bedauern, doch unser Staat wird nicht mehr allein vom Christentum getragen und von der Mehrheit der Bevölkerung auch nicht so gelebt, dass es zum alleinigen Maßstab weltlicher Gesetzgebung gemacht werden kann. Wie natürlich alle anderen Bevölkerungsgruppen auch können sich die Kirchen zu Suizid und Sterbehilfe nach ihren Vorstellungen äußern, gar den „Selbstmord“ ächten.
Als Ziel aller Diskussionen um die aktive und passive Sterbehilfe bleibt für mich nur erkennbar, das derzeit geltende liberale Recht der Nichtregelung mehr oder weniger stark einzuschränken. Das eigentliche Problem sind die recht unterschiedlichen Festlegungen in den 17 Ärztekammern der einzelnen Bundesländer. In zehn riskieren Ärzte, die sich an der Beihilfe zum Suizid beteiligen, nach dem jeweils geltenden Standesrecht ihre Berufserlaubnis. Zwar sind diese Standesregeln derzeit strafrechtlich nicht relevant, erzeugen aber einen bestimmten Druck auf die Ärzteschaft, die erhoffte Hilfe zu verweigern.
Wenn nun aber die Mehrheit der Abgeordneten partout der Auffassung bleiben will, die Sterbehilfe per Gesetz zu regeln, scheint mir der von den Abgeordneten Peter Hintze, Karl Lauterbach und Carola Reimann vorgelegte Entwurf noch der moderateste. Durch eine Neuregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch wollen sie den Ärzten mehr Sicherheit geben, sich über divergierende Standesregeln hinwegzusetzen. Denn jenseits aller Debatten und dem Mehrheitswillen der Bevölkerung bleibt die Schwierigkeit, ohne Verein überhaupt einen Arzt zu finden. Aber auch der Entwurf der drei Abgeordneten enthält strenge Kriterien: Die Unheilbarkeit der Erkrankung oder der unmittelbar bevorstehende Tod.
Künstler, so scheint es, pflegen ein besonderes Verhältnis zu Tod und Sterben. Schon als Kind haben mich die mittelalterlichen Totentänze geängstigt. Wie viele Tode werden auf den Bühnen der Welt immer wieder aufs Neue gestorben, um nach dem letzten Vorhang wieder aufzuerstehen. Von Literatur, Film, Musik und Tanz zum Thema ganz zu schweigen. Vor Jahren hat mich ein Zitat des Künstlers und Theoretikers Bazon Brock verblüfft: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören.“ Ja, wenn es doch so einfach wäre. Jedenfalls lebt er noch, der Bazon Brock.