Im Notfall laufen lassen

Kolumne 16. Juli 2015

Für mich sind es ausnahmsweise einmal gute Nachrichten, die mich von der Formel 1 erreichen. Aufs allerhöchste besorgt klagt sogar Bild über „Die Formel-1-Krise“.  Unüberhörbar werden die Alarmglocken laut geläutet, wenn es heißt: „Die Formel 1 entfernt sich mit Vollgas von den Fans!“ Anlass zur Jammeriade ist der Große Preis von Österreich. Hat doch das Spektakel gegenüber 2014 gut 30% an Zuschauern eingebüßt, nur noch 120 000 statt 180 000 Strecken-Fans.

Doch Bild wäre nicht Bild, wenn nicht gleich über Abhilfe nachgedacht würde. So bat sie den „Strecken-Architekt T.“ – so etwas gibt es tatsächlich – „Die Action-Piste für die Formel 1″zu entwerfen. Es heißt, dieser T. habe weltweit schon 65 Rennstrecken entworfen. Er sei gerade dabei, sich ganz aktuell in Aserbaidschan einen Parcours auszudenken. In Diktaturen lässt sich bekanntlich besonders phantasievoll planen. 

Auftrag Bild: „… wie der Motorsport aus der Langeweile-Krise kommt und bis 2050 wieder ein Renner wird“.  Und dann legt er los, der T. Da ist die Rede von Crash-Kurven, künstlich erzeugtem Wasser & Schotter-Abschnitt, Sprung-Hügel, Übersprung, Looping samt Steilkurve. Damit bei all diesen Vorschlägen auch der größte Schwachmat unter der Leserschar in der Zielgeraden dann doch an Satire denken muss, wird eine „Achterbahn durch die Stadt“ ins Auge gefasst. Im Beitext heißt es lapidar: „Formel-1-Boss Bernie Ecclestone (84) fordert mehr Spaß und Spannung“. Spaß beiseite, die Entwicklung der TV-Quoten auf RTL ist ebenfalls auf Talfahrt. Von 8,52 Millionen Gaffern 2004 blieben nur 3,96 übrig, die vor der Glotze auf den ultimativen Supercrash warteten. Natürlich sind das immer noch viel zu viele. Aber auch bei Facebook liegen im Bereich Sport die Berufsraser gerade mal auf Platz 21. Ernüchtert heißt es bei Bild: „Die junge Zielgruppe verliert immer mehr das Interesse an der Formel 1“. Die düstere Prognose: „Es gibt viel zu tun für die Formel 1. Sonst ist sie ganz schnell 08/15…“.

Ungemach droht indes auch noch aus dem innersten Zirkel der organisierten Raserei. Renault als Motorenlieferant für den Rennstall Red Bull droht nach Saisonende den totalen Rückzug aus der Renngemeinschaft an. Noch schreckt eine Konventionalstrafe im Millionenbereich vor dem Einstieg in den Ausstieg. Wohl mehr aus Imagegründen – siehe Einstellung der jungen Generation – hatten auch BMW und Mercedes schon einmal über einen Ausstieg nachgedacht.

Aber wie so oft kommt Rettung in der Not aus einer bisher völlig unvermuteten Ecke. Denn ernste Sorgen um die Zukunft der von uralten Männern gewinnbringend organisierten Geschäftsidee der ewigen Im-Kreis-Fahrer macht sich jetzt eine überregionale süddeutsche Zeitung und setzt folgerichtig beim Fan-Nachwuchs an. In einer dem Thema TEMPO gewidmeten Wochenendausgabe werden auch die FÜR-KINDER-Seiten tempomäßig in Dienst genommen. Unter der Überschrift „MIT-TEMPO 360“ können die lieben Kleinen ein Interview mit dem Ferrari-Fahrer V. nachlesen. Untertitel: „Der Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel erzählt, wie er trainiert, wovor er Angst hat – und was passiert, wenn er beim Rennen aufs Klo muss“. Neben allerlei kindgerechter Fachsimpelei ist vor allem die Antwort des Profis auf die Toiletten-Frage von allgemeinem Interesse: „Im Notfall muss man es halt laufen lassen“. Großartig.

Nun warte ich auf die nächsten KINDER-Seiten zum Thema: „Was kann ich persönlich für den Klimaschutz tun?“ Aber subito.

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