Reinemachen im Netz

Kolumne 22. Oktober 2015

Wer noch nicht genug hat von einer Sturmflut aus Unflat und Hasstiraden gegen Flüchtlinge im Internet, der kann seit dem Juli dieses Jahres auch alles gebündelt bekommen. Der Blog nennt sich „Perlen aus Freital“ und die ihn betreiben, tun gut daran, anonym zu bleiben, wenn sie ihr Leben, zumindest ihre Gesundheit, nicht aufs Spiel setzen wollen.

Wir haben es mit einer Art Pranger zu tun, wo Hetzer und Rufmordbetreiber mit ihren Botschaften (von „Ab ins Gas!“ bis „Strom auf den Zaun und Ruh is!“) aus den Millionen Facebook-Kommentaren herausgefischt wurden und nun mit ihren Klar- oder Phantasienamen in der Öffentlichkeit erscheinen. Manchmal steht auch dabei, welcher Tätigkeit die Autoren sonst noch nachgehen. Das hat den einen oder anderen Arbeitgeber in Sorge um das Ansehen der Firma bereits dazu gebracht, sich öffentlich für das Verhalten seines Angestellten zu entschuldigen oder ihn gleich fristlos zu entlassen. 

Mancher wird diese Netz-Reinemachaktion für Denunziantentum halten. Aber wer sich wirklich einmal in die Galgenbastler-Rhetorik vertieft hat, der muss am Ende bekennen, dass diese Aktion wie ein Befreiungsschlag wirkt, um Artikel 5 des Grundgesetzes zu verteidigen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“  Denn wer die Menschenrechte missachtet, Rufmord und Rassismus verbreitet, gar Hitlers Wiederauferstehung wünscht, der hat in dieser Gesellschaft nur eines verdient – eine Anzeige und ein Ermittlungsverfahren, damit Artikel 5 und die Demokratie überhaupt allen anderen Bundesbürgern erhalten bleiben.

Denn es ist ihr gutes Recht, auch in Zeiten einer solch enormen Herausforderung der Gesellschaft, wie wir sie gerade durch die herbeiströmenden Flüchtlinge und Asylsuchenden erleben, ihre Meinung frei zu äußern und die Frage zu stellen, wieviel Belastung und Veränderung der demokratische Staat aushalten kann. Das sind keine bequemen Fragen, denn sie zielen auf das offenbar gegenwärtig sehr angespannte Verhältnis zwischen denen da „unten“ und denen da „oben“. Die Glaubwürdigkeit der Regierung ist bei der Mehrzahl der Deutschen offenbar schwerer angeschlagen, als „Tagesschau“ und „Heute“ vermitteln können oder wollen.

Als kürzlich eine Zeitung in Berlin die Nachricht übernahm, wir müssten bis zum Jahresende noch mit 1,5 Millionen Migranten rechnen, da kamen auch die Moderatoren der eingehenden Leserkommentare an ihre Leistungsgrenze, um alles was nicht mehr von Art. 5 gedeckt war, von der Onlineplattform zu verbannen. In wenigen Stunden wurden die Meinungen von mehr als 160 Leuten veröffentlicht, die daran zweifelten, ob die politische Führung des Landes die Lage weiter im Griff hat. Es gab nicht mehr als drei Kommentare, aus denen Vertrauen und Zuversicht in die Worte und Taten der Regierenden zu lesen waren. Wer dies ignoriert, handelt fahrlässig. 

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat vor fünf Jahren ihre Studie „Die Mitte in der Krise“ herausgegeben. Der Satz „Die Bundesrepublik ist überfremdet durch die vielen Ausländer“, fand damals bei 35% der repräsentativ Befragten überwiegende Zustimmung, hinzu kam mehr als ein Viertel, die dieser Meinung nicht abgeneigt waren. Am äußeren rechten Rand bedient sich seit nunmehr einem Jahr die PEGIDA-Bewegung. Ob heute noch 40% der Bevölkerung von Überfremdungsängsten frei sind und der weiteren Radikalisierung durch fremdenfeindliche Agitation widerstehen?

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