Kolumne vom 1.6.2017
27 Jahre nach Erstürmung der Stasizentrale in Berlin Lichtenberg herrscht immer noch Ratlosigkeit, wie 80 Hektar Stadtfläche den Bürgern wieder komplett zugänglich gemacht werden können.
Wer Berlin in östlicher Richtung über die Frankfurter Allee verlässt, bleibt lieber mit der U-Bahn unter der Erde. Nicht wegen des Verkehrsstaus an jedem Nachmittag, sondern weil einem nur so der triste Anblick der baulichen Überreste der Stasizentrale erspart bleibt. Nunmehr 27 Jahre nach deren Erstürmung im Januar 1990 herrscht immer noch totale Ratlosigkeit, wie 80 Hektar Stadtfläche den Bürgern Lichtenbergs wieder komplett zugänglich gemacht werden können. Es gibt zwar Arztpraxen, und ein Finanzamt, natürlich die original eingerichtete Mielke-Etage in Haus 1, das Stasi-Museum und die Archivgebäude für 111 Kilometer Stasiakten – doch der weitaus größere Rest gleicht immer noch einem gebauten Unikum.
Fragt man nach den Gründen für den Leerstand einiger Häuser am U-Bahnhof Magdalenenstraße, wird die Berliner Finanzverwaltung als tatenloser Eigentümer genannt. Für den dreizehngeschossigen Koloss an der Südost-Ecke ist die Lage komplizierter, weil die Treuhand den einstigen Sitz der Hauptverwaltung Aufklärung der Deutschen Reichsbahn übergab. Kurz danach war das ein preiswertes Schnäppchen für die Deutsche Bahn, die vor sechs Jahren alle ihr gehörenden Bauten auf dem MfS-Areal, als das Gelände schon längst als Sanierungsgebiet ausgeschrieben war, an einen Berliner Abrissunternehmer billigst verschleudert haben soll. Dessen Firma ARIS und seine unbekannten Investoren halten sich diskret und anonym im Hintergrund. Wer vermutet, dass hier Spekulanten auf das beste Timing warten, liegt vielleicht gar nicht falsch.
Doch im November 2015 nahm das Land Berlin das Gebäude in Beschlag und brachte zeitweilig in diesem Block bis zu 1300 Flüchtlinge unter. Im Juli sollen die letzten von ihnen ausziehen. Dann wird die ARIS, die, wie es heißt, für alle Unkosten in Vorkasse treten musste, sicher mit reichlich Miet- und Stromzahlung entlohnt. Schon im vorigen Jahr soll der Bund den Immobilieneigentümern eine beträchtliche Summe dafür gezahlt haben, dass die Havemann-Gesellschaft aus unsicherer Lage am Prenzlauer Berg mit ihren Dokumenten der Opposition in die Nähe der Sammlung der Akten der Repression umziehen kann.
Nun gibt es seit einiger Zeit die Idee, hier einen „Campus der Demokratie“ entstehen zu lassen, doch der schöne Name sagt noch nichts darüber aus, wie man sich zwischen abreißen, bewahren oder umgestalten entscheiden soll. Besser gesagt, entscheiden kann, weil die Pläne der unbekannten ARIS-Leute erst einmal auf ihre Umsetzbarkeit mit dem Sanierungsplan des Stadtbezirks geprüft werden müssen. Wie wir wissen, kann so etwas dauern. Im August wollen alle Beteiligten, das sind Bürgervertreter, Stadtentwickler, Senatsverwaltung und bisherige Nutzer, zusammenkommen um endlich ein Konzept für die Zukunft dieses geschichtsträchtigen Ortes zu finden, damit öffentlicher Raum der Stadt und ihren Bewohnern zurückgegeben werden kann. Notfalls, so war in der vorigen Woche auf einem Forum zu hören, auch auf dem Wege der Enteignung wenn den Eigentümern die Planung der Stadt egal sein sollte. „Eigentum verpflichtet“ rief ein engagierter Bürger in den Saal, so stehe es schließlich im Grundgesetz. Bemerkenswert die Antwort eines Podiumsteilnehmers, der dem Stasi-Museum vorsteht und meint, auf dem MfS-Gelände verbiete es sich, von Enteignung zu reden, denn das zeige „den ganzen sozialistischen Unsinn des Grundgesetzes.“ Ich glaube, in Mielkes einstiger Aura ist die Luft immer noch nicht ganz sauber.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Frankfurter Rundschau und in der Berliner Zeitung.