Kolumne vom 24.8.2017
Nach einer für die SPD verlorenen Landtagswahl meinte ein Redakteur des von mir geschätzten Deutschlandfunks: „Für Häme ist es noch zu früh“. Inzwischen sind wir einige Runden weiter. Auch politische Kampagnen laufen meist nach den Regeln eines politischen Lehrstücks. Die Akteure in den Medien, samt Meinungsforscher – sie alle wollen mitbestimmen, mitregieren. In Wahlen oft mühsam errungene Mandate anstreben? Nein danke.
Getreu meines Grundsatzes, dass die Demokratie nicht an Langeweile sterben darf, trat plötzlich ein Mann in die politische Arena mit dem Allerweltsnamen Schulz, um der ermüdeten und ermüdenden Dauerkanzlerin das ewige „weiter so“ streitig zu machen. Er wurde gefeiert als Lichtgestalt und Heilsbringer, der den als undurchdringlich gewähnten „weißen Nebel wunderbar“ durchdringen und die von Niederlagen und Selbstzweifeln erschlaffte Genossenschar zu neuen Ufern führen würde. Der SPIEGEL ließ Schulz auf einem Titelblatt bereits als „Sankt Martin“ strahlen.
Mag sein, dass vielen Journalisten die permanente Verweigerungshaltung der Kanzlerin nach dem Motto „Ich sage nichts, das aber mit Nachdruck“, überdrüssig geworden war. So erfrischend diese Phase, als hätte jemand die sprichwörtlichen Fenster geöffnet, auch war, sie währte nur kurze Zeit. Zyniker behaupten, man habe den Kandidaten nur deshalb so hochgejubelt, um die Fallhöhe selbst bestimmen zu können. Ohne Martin Schulz gravierende Fehler vorzuwerfen, war es jedenfalls schnell wieder vorbei mit der friendly-medialen Begleitung, wurde aus dem Wunderknaben der Bad Boy.
Als Oskar Lafontaine noch Sozialdemokrat war, sprach er in vergleichbaren Situationen vom „Rudel-Journalismus“. Man muss diese Einschätzung nicht teilen. Auffällig bleibt der Gleichklang, mit dem ein medialer Chorus Mysticus den Gefeierten ins Tal der Tränen stieß. Wie oft die Berufsumfrager mit ihren Prognosen jüngst auch daneben lagen, sie unterfüttern nun die abwertenden Urteile.
Erfrischend ehrlich blies das Handelsblatt zur Attacke auf den Kandidaten: „DEUTSCHLAND WILL DEN WECHSEL… aber nicht mit Martin Schulz“. Das Blatt weiß, was es seinen Lesern schuldig ist. Anders die taz. Mit gespieltem Mitgefühl analysiert sie kalt einen Mitleids-Malus, vermutet: „Nervöse Abstiegsangst“ und bescheinigt ihm immerhin: „eine ehrliche Haut“ zu sein. Die Rhein-Neckar-Zeitung macht ihn zum „Don Quichote“ und die „Zeit“ gibt sich besorgt: „Manchmal wirkt er so, als habe er die Niederlage schon eingepreist“. Auch wenn der Eindruck überwiegt, dass gegen Merkel, „die Unbesiegbare“, kein Blumentopf mehr zu gewinnen und die Niederlage des Martin Schulz unabwendbar sei, kommen nach all dem verschossenen Pulver nun dennoch Zweifel auf.
Plötzlich spricht die WELT von „Merkel, der planlosen Kanzlerin“, orakelt die FAZ: „Wirklich schon entschieden?“ Auch die Frankfurter Rundschau bescheinigt Merkel: „Sie macht fast jeden Quatsch mit“ und: „Niemand weiß, wofür sie steht“.
Doch während der STERN Martin Schulz schon einmal in Gestalt eines Luftballons hat platzen lassen, im CICERO Bruder Martin neben der übermächtigen Angela zum Zwerg schrumpft, wird Wolfgang Schäuble im SPIEGEL zitiert, „dass die Wahl noch lange nicht gelaufen sei“. Deutlicher wurde Seehofer Ende Juli in einem WELT-Interview, „Wir haben noch genügend Zeit, die Wahl zu verlieren“. Die verbleibenden vier Wochen mit der Flut schönster Merkel-Fotos können lang werden. Entschieden ist noch gar nichts!
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.