Kolumne vom 23.2.2017
Seit vor dem Dortmunder Stadion Leipziger Fußballtouristen vom Mob mit Steinwürfen gejagt wurden, läuft die Diskussion wieder auf Hochtouren, warum einige Sportereignisse offenbar zwangsläufig Gewaltexzesse mit sich bringen. Die wüsten Hetzplakate, darunter der Aufruf zum Selbstmord an den Leipziger Sportdirektor, hat immerhin erstmals in der BVB-Geschichte zu einer leeren, grauen Südtribüne, die gern auch als „mystischer Ort“ verklärt wird, geführt.
Das war die Quittung für den Anpfiff eines Spiels trotz nicht eingehaltener Stadionordnung. In dieser steht unter § 7 eindeutig, dass „Medien mit gewaltverherrlichendem Inhalt“ sowie „Äußerungen und Gesten, die geeignet sind Dritte zu diffamieren“ strikt verboten sind. Übrigens unabhängig von einer strafrechtlichen Relevanz der Äußerungen. Diese niedrige Schwelle hätte es den Ordnern durchaus erlaubt, die großen Banner der übelsten Hetzer zunächst einzusammeln, bevor das Spiel beginnt. Das wäre nicht gut gewesen für Konferenzschaltungen und Live-Übertragungen in Hörfunk und Fernsehen und für stetig steigende Einnahmen aus dem Verkauf von Übertragungsrechten. Da aber die Höhe der finanziellen Erträge für einen börsennotierten Verein den gleichen Rang hat wie der Tabellenplatz muss alles verhindert werden, was die Kasse schmälert.
Auch ist es offenbar unvermeidlich, für das Umfeld des Stadions und die Anreisewege immer wieder nach mehr Polizei zu rufen, wenn das Sicherheitskonzept bei Fußballspielen diskutiert wird. Mehr Polizei – egal was es kostet, denn dafür ist ja der Staat zuständig. Innenminister Jäger sagte kürzlich, dass 25 Prozent der Arbeitszeit der Bereitschaftspolizei in seinem Bundesland NRW für die Sicherung von Fußballspielen aufgewandt würden. Er wolle jedoch nicht, „dass der Profifußball sich aus seiner Verantwortung rauskaufen kann.“
Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Steuerzahler gleicher Meinung ist. Denn millionenschwere Vereine können unvorstellbare Summen beim Spielerkauf auf den Tisch legen. Müssten sie für die Absicherung des Geschäftsbetriebes innerhalb und außerhalb des Stadions nicht mehr tun, als nur die eigenen Ordner zu bezahlen? Wenn sie Ultra-Fans und Kriminellen auf der Südtribüne zugestehen, mit Hassplakaten zur Gewalt aufzustacheln, dann sollte der Verein die Kosten tragen, wenn der Fan als Wutbürger oder rechter Hooligan auch auf der Straße zur Gefahr für die Allgemeinheit wird.
Dabei ist der Fußball nur ein Gewaltschauplatz in unserer Gesellschaft – freilich mit höchstem Effekt an Aufmerksamkeit. Im vorigen Jahr wurden 140 rechte Übergriffe auf Politiker und deren Büros registriert, die sich in der Flüchtlingspolitik oder in Aktionen „Gegen Rechts“ engagiert hatten. Polizisten, Feuerwehrleute und Notfallsanitäter klagen über die Häufung von rabiaten Übergriffen. Schon bei Unfallaufnahmen rotten sich in polizeibekannten Stadtvierteln Unbeteiligte zusammen, und behindern Ermittler und Helfer, bis zusätzlich angeforderte Einsatzkräfte die Ordnung wiederherstellen. Verständlich, dass der Gesetzgeber nun mehr unternehmen will, um einer schwindenden Autorität des staatlichen Gewaltmonopols gegenzusteuern. Doch strengere Strafen allein werden nicht helfen. Staatsanwälte und Richter müssen in der Lage sein, schneller zu reagieren, um angemessen und zeitnah Täter in die Schranken zu weisen.
Nicht die Macht medienwirksam pöbelnder Fans auf der Dortmunder Südtribüne gefährdet unsere Demokratie, sondern die allgegenwärtige Zunahme an verbalem und tätlichem Hass.
Der Text von Klaus Staeck erschien am 23.2.2017 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau