„Döbels Skandal-Galgen“, 21 cm hoch für 18,95 €, „bestens bekannt aus Funk und Fernsehen“ – erzgebirgische Handwerkskunst jenseits der Schwibbögen. Doch wer Merkel, Gabriel oder irgendjemandem das Ende wünscht, hat eine Grenze überschritten. Das hat nichts mit Kunst zu tun.
Kolumne vom 14.12.2017
Unübersehbar: Es weihnachtet. E-Werke müssen auf Hochlast fahren, damit auch noch der entlegenste Balkon zum Hinterhof seinen Lichtgirlandenglanz entfalten kann. Endloslichterketten schmücken die unansehnlichsten Gartenzäune, und je weiter man in den Osten fährt, desto höher die Schwibbogendichte. Noch kommt nicht alles als Chinaimport daher, „Holzkunst aus dem Erzgebirge bringt eine einmalige, unverwechselbare, in Jahrhunderten gewachsene Tradition“, lese ich auf der Internetseite eines Schwarzenberger Onlinehändlers, dessen Werbespruch nicht zu hoch greift: „Döbel – der hat’s!“
Was Jens Döbel vor allem hat, ist ein Riecher für’s Geschäft. Auch für Geschäfte der niedersten Art, denn von Döbel zu Pöbel ist es nur ein Schritt. Klickt man eine Seite weiter von seinem Internetangebot original erzgebirgischer Schwibbögen, dann landet man schon bei „Döbels Skandal-Galgen“, 21 cm hoch für 18,95€, „bestens bekannt aus Funk und Fernsehen“. Weiter im Werbetext heißt es: „Nur bei uns gibt es das Original vom Original, in liebevoller Handarbeit hergestellt. Die Beschriftung entspricht ebenfalls dem Unikat, auf der Vorderseite ist DEUTSCHLAND und auf der Innenseite ist VOLKS-VERRRÄTER vermerkt (…) Der abgebildete Galgen hat sarkastischen Charakter und soll kein Aufruf zum Mord oder anderen Straftaten darstellen.“
Der letzte Satz hat vor einigen Tagen auch die Chemnitzer Staatsanwaltschaft überzeugt, dass es sich nur um Kunst handeln kann, wenn man Angela Merkel und Siegmar Gabriel ganz im Sinne der Pegida-Pöbler ein Ende am Galgen wünscht. Dem Beschuldigten, heißt es in der Begründung, könne ein Ansinnen, Dritte zu einer rechtswidrigen Tat zu animieren, nicht nachgewiesen werden. Deshalb können die „in liebevoller Handarbeit“ gefertigten Galgen auch nicht beschlagnahmt oder ihr Verkauf unterbunden werden.
Döbel hat es amtlich: Das Geschäft kann unter den Augen der Gesetzeshüter prächtig laufen. Vielleicht muss man im nächsten Jahr mal die Namen der Gehenkten austauschen, ansonsten spricht nichts dagegen, dass sich der auf einer Dresdner Pegida-Demo im Herbst 2015 erstmals vorgeführte Galgenhumor in klingender Münze auszahlt.
Das ist ein Skandal, der durch keinen Spruch über die Satire, die angeblich alles darf, sanktioniert wird. Für mich – aber offenbar nicht in Chemnitz – gilt Artikel 1 des Grundgesetzes, die unantastbare Würde des Menschen betreffend. Ich kenne mich aus, habe selbst einige satirische Objekte zusammengebaut oder herstellen lassen, auf Plakaten provoziert, wenn Anlässe oder Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft es erforderten. Aber die Verletzung der persönlichen Integrität, das leichtfertige Spiel mit dem Tod eines politischen Gegners sind Grenzen, die in einer Demokratie nicht überschritten werden dürfen.
Offenbar beginnen sich jetzt in den digitalen Zeiten von Hassmails, Hetzkommentaren und verbaler Aggressivität alle Konventionen aufzulösen. Bisher gültige moralische Grenzen verschieben sich. Die Verwahrlosung der Umgangsformen schafft ein antisoziales Prinzip: den Sieg des Pöblers. Er kann darauf setzen, dass die Geste der Unmenschlichkeit nicht mehr geahndet wird. Der kleine Unternehmer aus dem Erzgebirge hat den Kapitalismus begriffen, wenn er seine Ideologie mit Geschäftssinn verbindet und auch noch bestätigt bekommt, dass Niedertracht recht erhält.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau (hier unter dem Titel „Der Sieg des Pöblers“)