Die Stimmungsmacher

Kolumne Mai 2008

Nicht zu glauben, was man aus Volkes Stimme alles heraushören kann. Als vor wenigen Wochen gut 20 Prozent der Hauptstädter für den Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof votierten, feierten das die Anhänger zusammen mit Friedbert Pflüger als „tollen Sieg“ für die Demokratie. Schließlich hätten über 530.000 Bürger dem rot-roten Senat per Volksentscheid die rote Karte gezeigt.

So sah es zumindest die schwarz-gelbe Opposition und ihre Verbündeten in den Medien. Alsbald ging es nur noch vordergründig um den Erhalt des City-Airport. Mobilisiert wurde gegen den innerstädtischen politischen Gegner. Schnell war vergessen, dass es bei einem Volksvotum nicht um billige Stimmungsmache, sondern um die Sache geht.

Zudem übersahen die parteiblinden Streithähne, dass es mehr als einer Million Wahlberechtigten egal war, wie es mit Tempelhof weitergehen soll. Aber das ficht selbst die mathematisch versiertesten Meinungsforscher nicht an. Die ja bisweilen darauf spezialisiert sind, Fragen so zu formulieren und Prozente so zu gewichten, dass ihr Auftraggeber schon das Richtige für sich herauslesen kann. Analog Winston Churchills Motto: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe.“ Der Volksentscheid wurde zwar nicht direkt manipuliert, sondern nur von einem gigantischen Werbefeldzug begleitet und im Nachhinein von den allzeit bereiten Experten schöngeredet. So, wenn uns der einschlägig interessierte Forsa-Chef in BILD vorrechnet, dass die SPD nach den Regeln eines Volkentscheids nie und nimmer ins Rote Rathaus gewählt worden wäre, ist die Zahlenarithmetik bis zum Aberwitz ausgereizt.

Die Berliner haben mit ihrer Wahlmüdigkeit die Schließung von Tempelhof nicht verhindert. Die Dresdner hatten mit ihrem Bürgerentscheid vor drei Jahren nicht so viel Glück. Hier wurde das erforderliche Quorum für den Bau der mehrspurigen und wenig romantischen Waldschlösschenbrücke erreicht. Allerdings waren sich die stimmberechtigten Bewohner der Sachsenmetropole zum damaligen Zeitpunkt wohl noch nicht im Klaren, dass mit ihrem Votum das Dresdner Elbtal seinen Titel als Weltkulturerbe verlieren könnte und der neue Schandfleck nur mit einer erhöhten Grundsteuer, also zu ihren finanziellen Lasten in die Landschaft gesetzt werden kann. Aber nicht nur fehlende Informationen können bei solchen Abstimmungen unkalkulierbare Folgen haben. Manchmal entscheiden Bürger auch mit vollem Bewusstsein und wenig Verstand gegen ihre ureigensten demokratischen Rechte. Wer hätte gedacht, dass die Hamburger letzten Herbst mit einem Volksentscheid gegen eine verfassungsrechtlich stärkere Verbindlichkeit von Volksentscheiden stimmen würden? Vernünftige Demokraten jedenfalls nicht.

Wie also lässt sich mehr Demokratie wagen, wenn Volksentscheide nur für wenig an der Sache orientierte politische Machtkämpfe oder rein wirtschaftliche Interessen missbraucht werden? Und der Bürger seiner unmittelbarsten politischen Teilhabe ebenso müde wird wie der Manipulation durch Parteien und Lobbyinteressen. Vielleicht sollte man die erforderliche Wahlbeteiligung auf mindestens 50 Prozent anheben und die Sachfragen von neutralen Gremien prüfen und formulieren lassen. Und das Volk vor allem nicht über Dinge entscheiden lassen, die für die Politik am Ende doch nicht bindend sind. Darum sollte, wer es mit Bürgerbegehren ernst meint, den Bürger ernst nehmen, damit der Bürger auch die Politiker ernst nehmen kann. 

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