Kolumne November 2008
„Ich liebe die Rezession.“ Wer angesichts der weltwirtschaftlichen Talfahrt so ins Schwärmen gerät, muss entweder verrückt sein oder Michael O’ Leary heißen. „Das Beste, was wir uns für diesen Winter wünschen können, ist eine gute, tiefe Rezession“, setzt der Chef des Billigfliegers Ryanair noch eins drauf.
Auf günstigen Sprit, sinkende Löhne und die Pleiten konkurrierender Airlines spekulierend, werden er und seine Passagiere die Gunst der Krise schamlos ausnutzen. Noch mehr Mitarbeiter werden dann für noch weniger Geld rund um die Uhr und rund um den Globus arbeiten und ihm dafür auch noch dankbar sein müssen. Andere Unternehmen entlassen nämlich trotz Milliardengewinnen vorsichtshalber schon mal Tausende Mitarbeiter oder erpressen ihre Zulieferer. Schließlich steckt jede Krise voller Chancen. Das hören wir doch ständig. Nur sollte die Krise dann wirklich genutzt werden, um das marode System zu überwinden und nicht, um es weiter zu stützen.
Obwohl manche der gescheiterten Banker schon kleinlauter geworden sind, wickeln viele Finanzjongleure weiterhin riskante Deals ab. Als gäbe es die Krise nicht oder wohl eher, als habe sie das Potenzial für noch gigantischere Geschäfte. John Paulson erpokerte letztes Jahr mit seinem Hedgefonds auf den Immobiliencrash den größten Gewinn aller Zeiten und heizte die jetzige Krise mit an, von der er gleich wieder profitieren möchte. „Die Kurse sind schon gefallen und werden weiter fallen, wenn die USA in eine Rezession schlittern. Das ist dann unsere nächste große Chance“, verriet er dem Manager Magazin bereits im August letzten Jahres. Wenn also dank der Steuermilliarden die Konjunktur wieder anziehen sollte, wird Paulson wieder zu den Gewinnern zählen. Staat und Bürger aber werden auf einem Haufen Schulden sitzen bleiben, wenn sie selbst Zocker wie Schaeffler retten sollten.
Mit den Staatsbürgschaften im Rücken raten bereits einige der angeschlagenen Banken wieder zu riskanten Wertpapierkäufen. Den dummen Noch-Steuerzahler auch künftig fest im Blick. Besonders die „aktiven Anleger“ langen trotz der Krise weiter zu. Schließlich schütten die DAX-Konzerne ihren Anlegern dieses Jahr immer noch rund 23 Milliarden Euro Dividende aus. Einige der spendablen Unternehmen leisten sich diesen Luxus mithilfe staatlicher Finanzspritzen. Damit befinden sie sich in bester Gesellschaft. Auch die Geld-Mafiosi von der Wall Street pfeifen auf die Krise und füllen sich ihre Taschen mit staatlich subventionierten Boni in Höhe von mehr als 18 Milliarden Dollar.
Solange in den Köpfen weiterhin Gier, Geiz und Konsum regieren, versucht sich das kranke System bis zum endgültigen Kollaps am Leben zu erhalten. Mit profitgierigen Wirtschaftsbossen und Politikern, die weiterhin neoliberale Patentrezepte anpreisen, ist daher kein Kurswechsel zu machen. Der Staat und seine Bürger haben derzeit die Chance, die Krise für richtungsweisende Reformen zu nutzen. Hochspekulative Leerverkäufe zu verbieten, Steueroasen trockenzulegen und Manager persönlich haftbar zu machen, ist das eine Mittel. Konzernen Kredite und Bürgschaften nur zu gewähren, wenn der öffentliche Investor ein wirksames Kontroll- und Mitspracherecht sowie handfeste Gewinnbeteiligungen erhält, das andere. Wenn sich die führenden Wirtschaftsnationen dieser Erde im März 2009 auf global geltende Regelungen dieser Art verständigen können, dann ist die Gunst der Krise gerecht genutzt. Aber nur dann.