Kolumne Juni 2009
„Dass er Kanzler kann, daran gibt es weniger Zweifel als daran, dass er kämpfen kann. Die hat Frank-Walter Steinmeier jetzt ausgeräumt. Er hat in einer sehr guten Rede die Sozialdemokraten motiviert wie lange nicht. Er hat nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen erreicht. Er hat nicht „einfach den Schröder gemacht“, wie manchmal in der Vergangenheit, sondern einen eigenen Stil eingeführt. Verbindlich in der Art, hart in der Sache.“
Als ich am Tage nach dem Wahlparteitag der Sozialdemokraten in der Schwäbischen Zeitung diesen Kommentar las, traute ich meinen Augen nicht und suchte sofort nach einer versteckten Bosheit oder gar Häme der besonders perfiden Art. Es fand sich jedoch nichts dergleichen. Gewöhnt an die journalistischen Niedermacher vom Dienst war ich von dieser optimistischen Lagebeurteilung aus dem Schwäbischen reichlich irritiert. Und als ich entgegen der medialen Mehrheitsmeinung von der Verlierer-SPD Roland Kochs in einem Zeitungs-Interview geäußerte Einschätzung las, dass er bei der Bundestagswahl mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen rechne, war ich vollends verwirrt. Werden doch die professionellen Auguren nicht müde zu behaupten, dass Frank-Walter Steinmeier nur noch durch ein Wunder Kanzler werden könne. Und über die Häufigkeit von Wundern gibt sich die ohnehin schon malträtierte sozialdemokratische Seele keinerlei Illusionen hin.
Das alles ändert nichts daran, dass kein Anlass zu banal ist, um den Sozialdemokraten in der veröffentlichten Meinung ultimativ nachzuweisen, dass sie nun einmal Seit an Seit auf der Verliererstraße schreiten und eine etwaige Richtungsänderung nicht geduldet wird. Dass die Springer-Zeitungen mit dem täglichen Merkel-Flugblatt BILD, in diesem medialen chorus mysticus Ton und Richtung angeben, verwundert nicht. Die anschwellenden Prophezeiungen vom Ende der SPD als Volkspartei und dergleichen sollen die schrumpfende Wählerschar natürlich entmutigen. Sollen, müssen aber nicht.
Denn zwei eindrucksvolle Beispiele aus jüngster Zeit lassen ganz erheblich an der Allmacht des Springer-Imperiums zweifeln. Gleich zwei große Volksentscheide gingen in Berlin mit überzeugenden Mehrheiten verloren: der Streit um die künftige Nutzung des Flughafens Tempelhof und der mit geballter kirchlicher Unterstützung geführte Kampf für die Initiative „Pro Reli“. Der bis zur Peinlichkeit geführte Einsatz des Hauses Springer gegen die ungeliebte Regierungskoalition war, auch für mich unerwartet deutlich, ein Riesenflop. Das in diesen Tagen bis zum Überdruss zitierte ‚Prinzip Hoffnung‘ ist durchaus geeignet, den bereits zu Verlierern ausersehenen Sozialdemokraten Kraft zu geben.
Sie sollte übrigens nicht weiter entmutigen, dass bei den letzten Wahlen ausgerechnet die FDP beachtliche Zuwächse verzeichnen konnte. Steht sie doch nicht unbegründet in Verdacht, der grandios gescheiterten neoliberalen Wirtschaftsideologie, wonach der Markt schon alles bestens regeln würde, am nächsten zu stehen. Aber ist sie wirklich gescheitert? Haben die Bankrotteure bei genauerer Betrachtung nicht nur das Casino gewechselt? Können sie nicht, versehen mit dem Gütesiegel ’systemrelevant‘ um so unbekümmerter weiter spielen? Und das in der neuen Gewissheit, dass der tumbe Steuerzahler für all ihre Schulden aufkommen muss. Oder gibt es jemanden, der mir sagen kann, wo, wann oder bei wem das immer noch allgemein gültige Verursacherprinzip real angewendet und jemand tatsächlich zur Kasse gebeten wurde?
Um aufzuwachen bleibt dem Wähler noch genügend Zeit.