Bürgerliche Verdienste

Kolumne 2. September 2010

Was ist das eigentlich für ein seltsames Land, in dem man in wenigen Jahren zum Milliardär aufsteigen kann und zugleich ein immer größerer Teil der Gesellschaft in die Armutszone abrutscht? Und so gut wie nichts passiert, diesen Zustand zu ändern. Wieso lehnt die Politik die bereits mehrfach geäußerten Angebote vermögender Bürger ab, freiwillig mehr Steuern zu zahlen?

Schon vor Jahren boten sich begüterte Prominente an, mit ihrem privaten Geld zur Sanierung der Staatsfinanzen beizutragen. Jüngst hat Herbert Grönemeyer sich ihnen angeschlossen und betont: „Wenn man Gemeinschaft möchte, müssen diejenigen, die leichter viel Geld verdienen, auch leichter mehr Geld abgeben.“ Selbst einige Ministerpräsidenten der CDU und zahlreiche FDP-Anhänger wollen die Reichen zur Kasse bitten. Doch die klare Offerte wird schlicht ignoriert. 

Stattdessen holt sich die schwarz-gelbe Regierung das Geld bei den Noch-Steuerzahlern. Und immer noch nicht bei den Verursachern der milliardenschweren Schäden. Die jüngsten Nachrichten vom Rekordaufschwung machen offenbar blind für die keineswegs ausgestandene Krise. Wenn man der jüngsten Spiegel-Umfrage „Wer verkörpert ein Deutschland, wie Sie es sich wünschen?“ glaubt, sind auch die braven Deutschen mit diesen Verhältnissen ganz zufrieden. Fühlen sie sich mehrheitlich doch bei all den Fußballern, Schlagersängern, Komikern und Steuerverweigerern und immerhin einigen Politikern ganz gut aufgehoben. Ein Volk, das verdiente Kicker wie Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil, der gerade in Richtung Madrid aufbricht, sowie Lena Meyer-Landrut und Günther Jauch zu seinen Vorbildern zählt, setzt Maßstäbe der anderen Art.

Eines wird immerhin durch diese eigenwillige Volksbefragung deutlich: Die Macht der Medien. Sie entscheiden, wer sich überhaupt der öffentlichen Aufmerksamkeit erfreuen darf und wer nicht. Insofern spiegeln solche Rankings auch nicht unbedingt die Bedeutung, sondern oft nur die Bekanntheit der Personen wider. Allzu große Aufregung über das doch recht skurrile Ergebnis der Umfrage im Spiegel erübrigt sich deshalb. 

Nachdenklich macht jedoch, dass die Jury aus Chefredakteuren der mehr als 300 im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger organisierten Blätter auf einer ähnlichen Linie liegt. Wer wüsste besser als die „ebenso hochkarätige wie kompetente und große Jury“ Bescheid „über die Probleme, Wünsche und Sehnsüchte der Menschen.“ In ihrem für bürgerschaftliches Engagement neu ausgeschriebenen Preis „Bürger/Bürgerin des Jahres“, der im September verliehen wird, ist in der Endausscheidung neben dem ehrenwerten Joachim Gauck auch wieder unser Günther Jauch im Spiel. 

Jener Moderator, der sich seit Jahren um den Aufbau des Potsdamer Stadtschlosses verdient macht, aber zugleich dabei hilft, das mühsam austarierte System zwischen Öffentlich-rechtlichem und Kommerzfunk aus den Angeln zu heben. Wer gleichzeitig bei RTL und ARD seine Millionen verdient, taugt der nun als ganz großes Vorbild auf Platz 1 vor einem Helmut Schmidt? Man wird ja wohl noch fragen dürfen. 

Es ist jedenfalls Zeit für die Vermögenssteuer. Und die Politik sollte endlich auf das Angebot vieler Reicher eingehen, mehr Steuern zahlen zu wollen. Mit oder ohne Gesetz. Dieser Weg ist allemal besser, als dass die Millionäre das Geld nach ihren ganz persönlichen Vorlieben und Interessen streuen. 

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