Umweltschlappe

Kolumne März 2011

In der Regel sind die Richter am Bundesgerichtshof in einem Alter, in dem sie die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen nicht mehr erleiden müssen. Sie werden vermutlich nicht mehr erleben, wie der Klimawandel noch mehr Regionen dieser Erde austrocknet oder überschwemmt. Ihr jüngstes Votum zugunsten eines Mehr an Wettbewerb im Regionalverkehr bringt uns der nahenden Katastrophe nochmal ein Stückchen näher.

Zählt es doch zu einer ganzen Reihe von Gerichtsurteilen, die gewinnorientierte Privatunternehmen begünstigen und Umwelt wie Kunden belasten wird. Selbst die taz wertete die Karlsruher Fehlentscheidung als Erfolg: „Die Fahrgäste könnten sich auf bessere Leistungen freuen“, orakelt das sonst so kapitalismuskritisch und naturverbundene Blatt. Wissen sie eigentlich, was sie da begrüßen. Ein Blick über den Ärmelkanal reicht, um zu erkennen, welche Servicewüsten die privaten Bahngesellschaften in Großbritannien hinterlassen haben, von den Einöden im öffentlichen Raum ganz zu schweigen. 

Das Fehlurteil aus Karlsruhe ist nicht nur eine „schwere Schlappe für die Bahn“, deren Konzerngewinne nun um die Hälfte absacken und die Fahrpreise für Fernfahrten in die Höhe schnellen lassen könnte. Sie ist vor allem eine schwere Schlappe für die Natur. Wer die Wahl hat, es sich leisten kann und will, zieht schon heute den privaten Straßenverkehr dem privatisierten Schienenverkehr vor. Millionen von Autofahrer beweisen das tagtäglich mit ihrer Dauerpräsenz auf Deutschlands Straßen. Und die lockt statt des modernen Elektroautos noch immer die gute alte Benzinkutsche. Auf dem Genfer Autosalon nächste Woche wird die Branche auf ihren Showbühnen nicht mehr alternative Antriebe ins Scheinwerferlicht rücken und als Innovationen anpreisen, sondern wieder mal dem rassigen Sportwagen huldigen, der Hunderte von PS auf die Fahrbahn bringt und zugleich Hunderte Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre jagt. Dicht gefolgt von den immer beliebteren und noch „giftigeren“ Geländewagen, die bei Luxuskarossenherstellern die Kassen klingeln lassen. 

Das Ökoargument wird nur solange bemüht, wie es Gewinn verspricht, um dann anderntags unter einer neuen Modewelle begraben zu werden. Ließe sich das Klima von Menschenhand so rasch ändern wie diese Trends, wäre vielleicht noch etwas zu retten. Die Realität sieht leider anders aus. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erinnerte die hartnäckigen Leugner des wissenschaftlich längst bewiesenen Klimawandels jüngst in dieser Zeitung daran, dass die Dürre- und Flutkatastrophen des vergangenen Jahres nur ein „Vorgeschmack auf die ökonomischen und politischen Krisen“ sind, „die uns in einer wärmer werdenden Welt erwarten.“ Die meisten Wirtschaftskapitäne werden trotz dieser sicheren Vorhersage kaum das Ruder herumreißen, um dem Klimawandel entgegenzusteuern. Deshalb sind Regierungen wie Parlamente gefragt und gefordert, den Umweltschutz in der Verfassung als Grundrecht zu verankern und alle bestehenden Gesetze und Gesetzesvorhaben daraufhin zu überprüfen. Solange Richtersprüche, wie die aus Karlsruhe, die Weichen für mehr Verkehr auf den Straßen und weniger Umweltverantwortung stellen, solange stimmt etwas nicht mit unserem Rechtssystem. Das rechtskräftige Urteil mag juristisch legal sein, umweltpolitisch aber ist es nicht legitim.

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