Kolumne Juni 2011
Als der letzte deutsche Kaiser in den Krieg ziehen wollte, da kannte er keine Parteien mehr. Was er stattdessen wollte, war bedingungslose, blinde Gefolgschaft. Zur Errichtung ihrer Diktatur verboten die Nazis erst die offen gegnerischen und dann alle anderen Parteien. Für Feldherren und Diktatoren müssen demokratische Parteien etwas Gefährliches sein. Auch ein Grund, der die demokratischen Parteien als unverzichtbar erscheinen lässt. Denn so ganz ohne Parteien ist eine funktionierende Demokratie nur schwer vorstellbar.
Parteien bestehen aus Menschen, die das Leben ihrer Gruppierung organisieren, die dafür sorgen, dass sie tatsächlich demokratisch im Sinne unserer Gesetze bleiben. Bürger, die ihre Freizeit zu Verfügung stellen, um für die Partei zu werben, um Programm und Personal zu beeinflussen. Sie arbeiten meist ehrenamtlich in Gemeinderäten, bestreiten Wahlkämpfe, lassen sich von streitbaren Mitmenschen, die andere Meinungen vertreten, kritisieren, beschimpfen, manchmal sogar angreifen. Jedenfalls sorgen sie dafür, dass wir, die Wählerinnen und Wähler, die Wahl haben. Natürlich gibt es auch hauptamtliche Funktionäre, Menschen, die professionell und nicht nur in ihrer Freizeit für das Funktionieren ihrer Parteien verantwortlich sind. Sie heißen Merkel oder Gröhe, Gabriel oder Nahles, Özdemir oder Roth, Rösler oder Lindner, Lötzsch oder Ernst.
Anlässlich der Diskussion in der SPD über eine Reform ihrer Organisation, liest man in den Medien erstaunliches. Von einer „Lehmschicht von Funktionären“ ist da die Rede, von Macht versessenen und verbohrten Funktionären, gegen die sich die Parteiführung durchsetzen müsse und so weiter. Es ist ein seltsames Bild, das da gezeichnet wird. Ausgerechnet jene, die sich für demokratische Parteien – und damit nicht bloß indirekt für Demokratie und Freiheit – einsetzen, werden unter einen Generalverdacht gestellt, sie seien borniert, betonlastig, starr.
Gleichzeitig haben inzwischen alle Parteien erhebliche Schwierigkeiten, noch Kandidatinnen und Kandidaten für Kommunalparlamente oder Bürgermeister zu finden. Vom Zeitgeist wird aus dieser Not schon eine Tugend gemacht. So will man plötzlich Politiker, die mit Politik nichts zu tun haben. Mit dieser Haltung diskutiert man hierzulande selbst über Bundespräsidenten. Der eine wurde gelobt, weil er sich auf Politik nicht einlassen wollte, dem Nachfolger wird zum Vorwurf gemacht, dass er bereits politische Erfahrungen gesammelt hat.
Natürlich gibt es in allen Parteien auch bornierte und unflexible Funktionäre, wie es auch unfreundliche Hoteliers, abweisende Museumsmitarbeiter, faule Angestellte gibt. Es ist die pauschale Verächtlichmachung, die schließlich auch zu Parteienfeindlichkeit und Abkehr von der Demokratie führt.
Engagierte, lustvolle, manchmal auch wütende Kritik an dem, was in Parteien und von den Parlamenten entschieden wird, ist das Eine. Ich bin der letzte, der sich diese Möglichkeit nehmen lassen wollte. Es aber bis zur Feindschaft zu treiben, auch gegen die Menschen, die sich für die demokratischen Parteien engagieren – verweigert den Institutionen und den Individuen den notwendigen Respekt und ist geeignet, der Demokratie selbst eine Grundlage zu entziehen. All jene, die ständig mit Inbrunst gegen den Parteienstaat polemisieren, frage ich stets: Wer soll denn an seine Stelle treten? Die Deutsche Bank etwa, das BILD-Leserparlament, die Bertelsmann-Stiftung oder kriminelle Rating-Agenturen?