Kolumne 4. August 2011 ?
Wer einstmals die Sowjetunion mit dem Auto bereiste, der musste selbst auf belebten Straßen aufmerksam auf Slalomstangen achten. Sie steckten metertief in Abwasserschächten um anzuzeigen: hier wurde ein Gullydeckel gestohlen. Diese preiswerte Variante der Unfallprävention könnte bald auch für klamme Kommunen in Deutschland in Frage kommen. Denn der Metalldiebstahl nimmt rasant zu. Nichts ist mehr sicher, kein Gullydeckel, kein Kupferrohr im Schrebergarten keine Bronzeskulptur im Park. Vor einigen Wochen traf es das Bronzerelief des „Sehers“ von Friesoythe im Münsterland.
In Huttrop, im Ruhrgebiet, wurden die Diebe einer 300 Kilo schweren Statue beim Sägen ertappt – jetzt stehen nur noch die Füße der „Vogelfrau“ auf dem Sockel.
Duisburg-Ruhrort vermißt einen bronzenen Schäferhund, der 50 Jahre die Zierde des Hundesport-Vereinsheims war. In Mülheim/Ruhr kamen die Täter beim Zerteilen eines bronzenen Bogenschützen nicht ganz zum Ziel – der halbe Kopf und ein Armstumpf sind als eindrucksvolles Bildmotiv für Barbarei zurückgeblieben. Friedhöfe sind beliebte stille Orte – vor allem für Diebe. Hamburg-Ohlsdorf vermisst seit Juni eine 600 Kilo schwere Bronzefigur. In Sachsen haben metallene Urnen keinen Anspruch mehr auf Pietät und wandern in die Schmelzöfen, die sich angeblich gleich hinter den Landesgrenzen befinden sollen. Eine Idee aus Dänemark könnte sich bewähren: man will den Weg verschwundener Skulpturen künftig mittels eingebauter GPS-Sender besser verfolgen. Bis zur Grenze. Denn dort haben ja, freilich aus anderen Gründen, die Zöllner wieder Posten bezogen.
Kunst aus Metall im öffentlichen Raum wird bald zur Seltenheit. Denn niemand kann mehr dafür garantieren, dass Metalldiebe an der Ausführung ihres europaweiten Zerstörungswerkes erfolgreich gehindert werden. Da sich der Kupferpreis in nur einem Jahr verdreifacht hat, können auch 15.000 Volt die Kabeldiebe nicht erschrecken. Die Bundespolizei meldet in nur einem Jahr eine Verdoppelung der Verluste auf den Bahnstrecken – auch Stahlgleise werden gern genommen. Zugausfälle bis zu Streckenstilllegungen sind die Folge. Wer von Berlin nach Cottbus reisen will, wartet seit Monaten darauf, dass es wieder rollt. In Frankfurt/Oder kam im Juni endlich ein Trio vor (das) Gericht, das kaum eine Bahnstrecke in Brandenburg verschont hatte. Vom „Schweren Bandendiebstahl“ und der „Störung öffentlicher Betriebe“ sind wenigstens diese drei polnischen Nachbarn für die nächsten sechs Jahre ausgeschlossen. Sie werden die Schienen übrigens nicht im heimischen Küchenherd eingeschmolzen haben.
Kommunen, Länder, den Bund und Unternehmen kosten Diebstahl und Zerstörung Millionen. Dieser Vandalismus ist offenbar ebenso wenig aufzuhalten wie die Vermüllung vieler Städte, wie die Graffittis an Eisenbahnwaggons und historischen Gebäuden, wie das Zerkratzen von Scheiben in U-, S- und Straßenbahnen. So bedarf es schon einiger Selbstermunterung, um der Resignation zu begegnen. Dank der Spendenbereitschaft vieler Bürger konnte kürzlich die Akademie der Künste in Berlin einen Neuguss der Bronze-Büste Alfred Döblins wieder aufstellen. Die Diebe, von deren Säge-Aktion ein leerer Sockel an der Karl-Marx-Allee kündet, sind noch nicht gefasst. An den zweiten Döblin werden sie nicht so leicht herankommen. Er steht geschützt im Foyer der Bezirksbibliothek in der Frankfurter Allee – aber nicht mehr am alten Ort. Erfolg und doch Kapitulation zugleich.