Straßenkampf

Kolumne Februar 2012

Der Vorteil meiner häufigen längeren Bahnfahrten besteht unter anderem darin, dass man oft die abgelegten Zeitungen findet. So ging es mir kürzlich mit dem „Schleswiger Nachrichten“. Meine Aufmerksamkeit erregte eine Achtzehnzeilen lange dpa-Meldung: „ Münster benennt Hindenburgplatz um. So habe der Stadtrat die Umbenennung mit 53 gegen 23 Stimmen beschlossen. „Die gesamte Fläche vor dem Schloss bekomme den Namen Schlossplatz“. Eine Expertenkommission habe festgestellt, „dass der umstrittene Reichspräsident der Weimarer Republik nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen aktive Stütze des Nationalsozialismus war“.

Es sei dahin gestellt, ausgefallensten wissenschaftlichen Erkenntnisse bedurft hätte, einen längst überfälligen Schritt zu vollziehen. Im April 1932 zum Reichspräsidenten wiedergewählt beruft Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler, um diesem mi der am 28. Februar unterzeichneten „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat2 den Weg in die nationalsozialistische Diktatur zu ebnen. Hindenburgs demonstrative Teilnahme an dem von den Nazis aufwendig inszenierten „Tag von Potsdam“ sollt Hitler eine Art bürgerliche Legitimation verschaffen und sein hohes Ansehen für das neue Regime instrumentalisieren. Auch Hitler und Hindenburg Seit an Seit auf dem Rücksitz einer offenen Limousine bei der Fahrt durch Berlin am 1. Mai 1933 hatte einen hohen Symbolwert für alle noch zögernden.

Es ist schwer zu verstehen, dass auch über 60 Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges noch zahlreiche Städte den Namen Hindenburg in Namen von Straßen und Plätzen führen. Als ich schon einmal vor Jahren auf dem Höhepunkt der Schindler-Würdigung in einer Wochenzeitung einen Namenstausch anregte, erntete ich nur Hohn und Spott.

Die Umbenennungen von Straßen treffen oft auf den Widerstand ihrer Bewohner. Verhältnismäßig reibungslos spielte sich einer dieser Transfers nach dem jeweiligen Ideologiewechsel meiner alten Heimatstadt Bitterfeld ab.  Aus der Lindenstraße wurde 1933 die Adolf-Hitler Straße, 1945 die Leninstraße und nach der deutschen Vereinigung wieder die Lindenstraße. Nur die Linden muss man inzwischen suchen. In der Universitätsstadt Heidelberg tat man sich dagegen schwer, nach jahrelangem Tauziehen 2012 die Treitschkestraße in Goldschmidtstraße umzubenennen. Ein professorales Gutachten aus dem vergangenen Jahr hatte dem umstrittenen Historiker noch einmal bescheinigt: „So muss das Antisemitische … heute als Treitschkes ‚Alleinstellungsmerkmal‘ gelten“. Möglicherweise wird die Heidelberger Umwidmung die Diskussion um die gleichnamige Straße in Berlin-Steglitz beeinflussen.

Stehen Personen zur Auswahl geht es immer auch um Würdigung und Erinnerung. Das belegt auch das jüngste Beispiel aus der dokumenta-Stadt Kassel. Halit Yozgat wurde im April 2006 vor seinem Internet-Café in der Kassler Holländischen Straße erschossen. Er war – wie wir heute wissen – das neunte Mordopfer der rechtsradikalen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund. Nach der Anregung die kilometerlange Straße nach Halit zu benennen, drohte die Debatte zu eskalieren. Inzwischen hat man sich jedoch auf eine kleine Lösung geeinigt. Ein bisher unbenannter kleiner Platz in der nähe soll – nach würdiger Umgestaltung –  künftig seinen Namen tragen.

Zurück zu Paul von Hindenburg. Ich bin gespannt, ob das Beispiel Münster in jenen Städten, die noch immer seinen Namen auf ähnliche Weise ehren, zu neuen Überlegungen führen.

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