Kolumne Juli 2012
Gibt es ein vertrauensvolleres Firmenlogo, als das von Nestlé? Das stilisierte Vogelnest mit der gefiederten Mutter in Fütterpose für die beiden hungrigen Küken signalisiert Geborgenheit und Verantwortung.
Aber schon ein flüchtiger Blick auf die fast 150jährige Firmengeschichte lässt ahnen, dass die zur Schau gestellte Idylle ein Trugbild ist. Dass der gefräßige Muttervogel einen riesigen Magen hat, sei nur am Rande erwähnt. Denn erst durch Zukäufe aller Art stieg die Nestlé S.A. auf zum größten Nahrungsmittelkonzern der Welt und größten Industrieunternehmen der Schweiz mit ca. 328 000 Mitarbeitern weltweit. Der Sitz befindet sich neben Vevey auch im Kanton Zug, den Deutschen besser bekannt als eigentliche Heimat all ihrer prominenten Steuerflüchtlinge.
Gibt man bei Wikipedia Nestlé als Stichwort ein, lesen sich die Abschnittsüberschriften in der Rubrik „Kritik“ wie das Inhaltsverzeichnis eines Wirtschaftskrimis: Kinderarbeit, Unfairer Handel, Verdeckte Ermittlung bei politischen Kritikern, Rodung von Regenwald zur Palmölproduktion für Schokoriegel, Tierexperimente in der Lebensmittelforschung und schließlich Wasser. Aber selbst hinter der letzten, harmlos klingenden Überschrift verbergen sich massive Vorwürfe gegen den Konzern.
Jenseits der bunten Werbewelt hatte ich 1975 zum ersten Mal indirekten Kontakt mit der Milchpulverfabrik, als Mitglieder der „Arbeitsgruppe Dritte Welt Bern“ in meinem Atelier auftauchten und um einen Plakatentwurf baten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits einen Beleidigungsprozess am Hals, weil sie in der Broschüre „Nestlé tötet Babys“ viele Argumente zusammengetragen hatten, die nach ihrer Überzeugung diesen Vorwurf rechtfertigten. Schließlich hatten die aggressiven Werbestrategien – vor allem in Ländern der 3.Welt – Mütter vom Stillen abgehalten und zu Milchpulverprodukten greifen lassen, ohne die hygienischen Voraussetzungen für die Zubereitung einhalten zu können.
Der Broschürentitel wurde der Gruppe untersagt, die konkreten Vorwürfe der Initiative konnten jedoch nicht widerlegt werden. Immer auf der Seite von David, wenn er von einem übermächtigen Goliath bedroht wird, entstand für die Berner mein Plakatmotiv „Der Aktionär ist das größte Säugetier“.
Muttermilchersatzprodukte zählen dank der ständig wachsenden Bevölkerung in der 3.Welt zu den umsatzstärksten und damit gewinnträchtigsten. So schreibt die Zeitschrift „International Money“ in ihrer jüngsten Ausgabe „Konsumenten gelten zu Recht als leicht zu beeinflussen, man denke nur an den Nespresso-Hype. Das Schweizer Weltunternehmen Nestlé ist ein Paradebeispiel für einen Portfoliotitel.“ Und „Die Aktie zählt zu den wichtigsten Ertragsbringern im MS Global Brands Fonds“.
Seit kurzem steht Nestlé wieder am Pranger der Weltöffentlichkeit, weil das Unternehmen mitverantwortlich sein soll für den Tod des kolumbianischen Gewerkschafters Romero, der 2005 bestialisch ermordet wurde. Berliner Menschenrechtler und die kolumbianische Gewerkschaft Sinaltrainal haben gemeinsam in Zug Strafanzeige gegen den ehemaligen Konzernchef und vier seiner Manager gestellt, wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. In Anbetracht der erkennbaren Gefährdung des ihr unliebsamen Gewerkschafters ihres Unternehmens hätten sie Maßnahmen zu seinem Schutz ergreifen müssen, so die Beschwerdeführer. Die Zuger Staatsanwälte und Richter könnten Weltkonzernrechtsgeschichte schreiben. Bleibt abzuwarten, ob Nestlés Marktmacht ausreicht, wieder den Hals aus der Schlinge zu ziehen.