Kolumne 14. März 2013
Es gibt Geschenke der verschiedensten Art, die man absolut nicht erwartet hat. Auch solche, für die man nicht genügend Vasen hat, aber in wenigen Tagen dahin welken. Wieder andere, die für gefährdete Antialkoholiker gefährlich werden können, schließlich die Gutscheine für Eigenwünsche von den Ratlosen. Es gibt sie aber auch, die Präsente, über die man sich über die Maßen freut. Der 28. Februar war für mich so ein Glückwunschtag der besonderen Art.
Es ergab sich aus der Logik des Programmschemas dieser Zeitung, dass an diesem Donnerstag auch meine Kolumne zu den üblen Machenschaften von Amazon erschien. Schon am Vormittag gab es die ersten Reaktionen. Wer wollte mir also verübeln, dass ich eine E-Mail als ganz besonderes Geschenk empfinde. Eine Userin aus Frankfurt teilte mir darin mit: „ich werde mein Konto bei amazon mit sofortiger wirkung kündigen und werde mich auch bei meinen freunden, bekannten und verwandten dafür einsetzen. Landesweit sollten das alle tun, die noch ein gewissen haben“. Es blieb nicht bei dieser einen frohen Botschaft. In Anbetracht der Millionen Kunden dieses US-amerikanischen Internetgiganten jedoch eine statistisch nicht mehr messbare Größe. Jedenfalls so gering, dass sie Zyniker nicht einmal zu einem müden Lächeln verführen kann.
Zwei Tage später, in der Samstagsausgabe derselben Zeitung, wurde ich dann in eine Verwirrung gestürzt, die bis heute anhält. Ein ganzseitiger Artikel von Harald Jähner, Redakteur dieses Blattes, beginnt mit folgendem Zitat: „Ich gebe zu: Ich kaufe bei Amazon. Schlimmer noch: Ich bin Amazon-Prime-Kunde. Ich bin also ‚Mittäter‘, wie Klaus Staeck in dieser Zeitung die Kunden des Kraken nannte, einer, der ’seine Verantwortung ins Nichts delegiert‘ und mit seiner ‚Gier, Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit‘ Amazons Ausbeutungsgeschäft besorgt“.
Es folgen breite Ausführungen über die Vorteile eines von Versandkosten befreiten Prime-Kunden, das abenteuerlich breite Angebot von Rasierpinseln bis zu Milchtöpfen, die Zeitnot des modernen, allzeit gehetzten Menschen, die befreiende Anonymität im Netz, in dem niemand lästige Fragen stellt, ohne Ladenschlusszeiten. Auch vom Verlust durch das Verschwinden der kleinen Geschäfte als Folge der virtuellen Konkurrenz ist andeutungsweise die Rede, dann aber auch wieder vom Entstehen einer „kritischen Konsumentengroßfamilie, die sich gegenseitig mit einer Einschätzung der wahren Gebrauchswerte berät“.
Natürlich ist auch von Gewissen die Rede. Schon in der Überschrift heißt es: „Warum ich trotz meines schlechten Gewissens bei Amazon bestelle. Eine Beichte“. Und natürlich kann man wortreich beichten und sich gleichzeitig selbst die Generalabsolution erteilen und weitermachen wie bisher. Der ursprüngliche Sinn dieses Prinzips ist ein anderer.
Im letzten Absatz des Artikels heißt es schließlich mit einem Hauch von Resignation: „Intimität und Gigantomanie fallen in eins. So zappeln wir freiwillig in den paradoxen Netzen dieser Monopole, weil sie unserem Ego immer mehr Entfaltungen zu geben scheinen“.
Nein, bitte kein ‚wir‘. Ich zappele nicht. Schon gar nicht freiwillig, weder im Netz von Amazon, Apple, Facebook und wie die Konzerne alle heißen – jedenfalls solange es noch geht. Dafür streite ich nach wie vor und bleibe dabei, dass ich die Amazon-Kunden für „Mittäter“ halte. Denn sie sind die Basis dieses Geschäftsmodells, das weitgehend auf der Ausbeutung von Beschäftigten und eines äußerst kreativen Steuervermeidungsmodells beruht.