Die Hüter der Mauschelrunden 

Kolumne Dezember 2013

Willy Brandts 100ster Geburtstag wirft seine Schatten voraus. Bücher, Gedenkveranstaltungen und eine Sonderbriefmarke erwecken den Anschein, als sei der zu Ehrende Liebling des ganzen Volkes gewesen. Immerhin fand jetzt eine seiner zentralen Forderungen „Mehr Demokratie wagen“ als Mitgliedervotum Eingang in die Tagespolitik. Dies bedeutet reales Neuland in der Parteiengeschichte.

Kein Wunder, dass sich CDU und CSU ob dieses Ereignisses erstaunt die Augen reiben. Wobei man sich gleichzeitig fragt, ob diese Gruppierungen im Sinne des Parteiengesetzes überhaupt Parteien sind. Werden sie doch weitgehend nur als Merkel-Wahlverein wahrgenommen. 

Die Sozis trauen sich was. Sie befragen ihre Mitglieder, so die denn auch wollen, Karteileichen inklusive. Das Ganze ist für die Führung ein Risiko. Die vielbeschworene Basis ist kein Hort der Berechenbarkeit, das Experiment kann auch schiefgehen. Erstaunlich, wie viel mediales Misstrauen diesem urdemokratischen Vorgang entgegen schrillt. Wird nicht ständig mehr Bürgernähe und Teilhabe gefordert, um der Demokratiemüdigkeit zu begegnen? Nicht jeder, der diese Befragung begrüßt, wird damit zum Befürworter der direkten Demokratie. Aus leidvoller Erfahrung hat sich unser Grundgesetz für die repräsentative entschieden. Wenn nun eine Partei ihre Mitglieder intern in wichtige Entscheidungen, ist das kein Verfassungsverstoß, wie einige Hüter der Mauschelrunden raunen, sondern ein Instrument innerparteilicher Demokratie. Es besteht auch keinerlei Anlass für einen Rücktritt des Vorstandes, wie schon lautstark insinuiert wird, sollte eine Mehrheit wider Erwarten dagegen sein.

Zum Gegenstand der Entscheidung: Jede Koalition ist ein Bündnis auf Zeit mit der Möglichkeit, sie jederzeit aufzukündigen. Sie ist keine Liebesheirat, sondern ein Versprechen zur Zusammenarbeit, solange die Partner sie für sinnvoll halten. Es wollen Wahlgewinner und Verlierer gemeinsam regieren. Hinter der SPD liegen vier Jahre schlechte Erfahrungen mit einer großen Koalition und vier Jahre ebenso schlechte als Opposition. An der im Wahlkampf offenkundig gewordenen Feindseligkeit der Medien gegenüber den Sozis wird sich nichts ändern. Die von Frau Slomka kürzlich gegen Sigmar Gabriel in Stellung gebrachte Verbaldrohne, als Interview getarnt, war nur ein Vorgeschmack auf künftige Gemeinheiten. 

All die frei laufenden Wähler haben der Union fast eine absolute Mehrheit beschert – der größten Oppositionspartei magere 25 Prozent. Trotz dieses Ungleichgewichts hat die SPD erreicht, dass sogar die stets kritischen Gewerkschaften dem Ergebnis zustimmen. 

Die SPD will wenigstens einen Teil der Gestaltungsmacht zurückgewinnen, um den von der Regierung herbeigeführten Stillstand zu beenden. Gelingt das nicht, sollte sie das Bündnis schnell wieder verlassen. Wen wundert’s, dass die SPD weiter zwischen Sodom und Gomorra ringt. Den Eindruck eines Zitteraals hinterlässt der Vorsitzende dabei jedenfalls nicht. Trotz Betreuungsgeldblödsinn, Mautquatsch und wiederbelebter Vorratsdatenspeicherung halten sich für mich die Argumente pro und contra fast die Waage. Leider glaube ich nicht mehr an die viel beschworene, alles erneuernde Kraft der Opposition. Dass einige meiner linken Freunde das anders sehen, macht mir mein Votum nicht leichter. Wie die Befragung auch ausgeht, die Tatsache, dass sie überhaupt stattfindet, ist ein Gewinn für die lebendige Demokratie. Das ist nicht wenig. 

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