Kampfmaschine Amazon

Kolumne 30. Juli 2015

Vor einigen Tagen beging Amazon  seinen 20. Geburtstag. Die deutschen Angestellten feierten auf ihre Weise mit. Sie trugen an diesem Tag T-Shirts mit dem Aufdruck „Pro Amazon – Mit Tarifvertrag“. Der Firmengründer und Chef Jeff Bezos, vom US-Wirtschaftsmagazin Fortune wegen seines Vermögens von 30 Mrd. Dollar als einer der reichsten Erdenbürger geschätzt, findet den fernen Mitarbeiterprotest verwunderlich, weil er sich für einen „fairen und verantwortungsvollen Arbeitgeber“ hält.

Die Gegenseite an Fließbändern und in Auslieferungslagern sieht das anders und prangert ständig die aggressive gewerkschaftsfeindliche Haltung des Superkonzerns an, der weltweit mit 154 000 Voll- und Teilzeitbeschäftigten den traditionellen Handel täglich vor die Sinnfrage stellt. Denn Amazon hat sich zu einer Kampfmaschine entwickelt, die vor nichts Halt macht und schon gar nicht vor den letzten Steuertricks, mit denen sich Extra-Milliarden verdienen lassen. Die deutschen Kunden sind bereit,  für Amazon nach den USA den zweitgrößten Markt zu bieten, Jeff Bezos wurde 2014 mit dem Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft geehrt. So gehen Kälber gern mit ihrem Metzger um.

Sicher ist Bezos ein begnadeter Unternehmer, der die Spielregeln der digitalen Welt in außerordentlich erfolgreiche Geschäftsmodelle verwandelt hat und damit noch längst nicht am Ende ist. Vor 20 Jahren hat er die ersten Bücher per Internet verkauft, inzwischen gibt es kein Produkt dieser Welt, das er nicht in kürzester Frist (wenn kein Streik dazwischenkommt) ins letzte Schwarzwalddorf liefern würde, und demnächst auch per Drohne abwerfen lassen könnte, wenn er  diesen science fiction-Gag in die Realität umgesetzt hat. 

Das Buchgeschäft hat Bezos nie aufgegeben und mit dem Kindle-Lesegerät in die papierfreie elektronische Zukunft  gebracht. Das hat den großen Vorteil, dass er nun mitlesen kann, mit seinem Leser vernetzt, diesem über die Schulter schaut und immer genau weiß, wann dessen Aufmerksamkeit wächst oder erlahmt. Während traditionelle Bücher manchmal ungelesen ins Regal wanderten und der Buchhändler keine Ahnung davon hatte, wann sie wieder zur Hand genommen oder ins Altpapier entsorgt wurden, gibt es jetzt lückenlose Protokolle über gelesene Seiten, thematische Vorlieben und was man sich alles noch kaum vorstellen kann. Konsequent hat sich daraus ein Bezahlmodell für Autoren entwickeln lassen: die Selfpublisher unter ihnen werden seit dem 1. Juli nach gelesenen Seiten und nicht mehr nach „Leihvorgängen“  bezahlt. Der Verband Deutscher Schriftsteller hat es auf den Punkt gebracht, Amazon verfolge das Leseverhalten seiner Kunden wie „big brother“. Der VS sieht darin auch einen „kontrollierenden Eingriff in den intimen Dialog des Lesers mit dem Buch und das damit verbundene Verhältnis zum Autor.“ Sicher ist solch ein Einwand für Bulldozzer Bezos viel zu feinsinnig. Er wird auch die Kritik kaum verstehen, dass mit diesem Modell eine besondere Gefahr für den Schreibprozess der Autoren droht, die nun vor allem die Aufgabe haben, ihre Leser von einer Seite zur anderen zu treiben. Na und, wird sich der Erfinder sagen: So lange es genug Leute gibt, die so entstehenden literarischen Schwachsinn kaufen und sogar lesen, hat Amazon doch alles richtig gemacht. Die Zahl der Kindle-Autoren kann man künftig den Amazon-Mitarbeitern hinzurechnen – natürlich ohne angemessenen Tarifvertrag.

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