Das Folkwang-Museum Essen zeigt das Werk von Klaus Staeck – der heute 80 wird. Von Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland, 28.2.2018
Der Sand fürs Getriebe reicht niemals aus – stets zu wenig, um die Apparatur der Strukturen zu (zer)stören oder eine Wüste aufschütten zu können. Und dorthin jene zu schicken, die so viel verderben. Aber vielleicht ist gar nicht der Sand das Problem, sondern der Mensch. Der das Getriebe ölt, statt es aufzuhalten. Auch Plakate können Sand sein, Augenöffner. Geduldiges Papier zum Stiften von Ungeduld. »Sand fürs Getriebe« heißt die große Retrospektive in Essen – gewidmet dem bedeutendsten Plakatkünstler Deutschlands, Klaus Staeck. Der Sand lagert in aufgestapelten Leinensäcken – im Museum. Ehrung im Endlager. Museum, das ist der fremdeste Ort für diese Kunst. Sie platzte jahrzehntelang in jede öffentliche Gelegenheit. Als gäbe der alte Litfaß seinen Namenssegen: Bild, fass! Beiß zu!
Plakate, die Legion sind: Der Erdball vor himmelblauem Hintergrund – und der Schriftzug: »Die Mietsache ist schonend zu behandeln und in gutem Zustand zurückzugeben.« +++ Das 1514 entstandene Porträt Dürers von seiner 63-jährigen Mutter – und der Schriftzug: »Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?« +++ Auf einem Foto die Manager der bundesdeutschen Rüstungsindustrie – und der Schriftzug: »Alle reden vom Frieden. Wir nicht.« +++ Mona Lisa im Rollstuhl – und der Schriftzug: »Niemand ist vollkommen.«
Staeck, das ist protestantische Sinnsüchtigkeit, ist kämpferische Direktheit, ist seit jeher Lerngier – die aus kleinbürgerlichen Wurzeln keimt, also: aus stark gefühltem Nachholbedarf an rebellischem Geist. Er kommt aus einer Familie der exakt zugerichteten Sofakissen, wurde 1938 in Pulsnitz geboren, wuchs in Bitterfeld auf. Gehörte zu jenen Enkelkindern, die ihren gebrechlichen Volkssturm-Opas die Panzerfäuste trugen. Bitterfeld. Das war später dort, wo die Menschen, in Ruß und Staub, prononciert weiße Hemden trugen und wo die Meinungsfreiheit größer war als anderswo in der DDR: »Denn dort in dem Dreck konnte der Staat niemandem mehr drohen, es war ja schon die Endstation.«
In Erinnerung hat er sich als »spillriges Kind mit Stachelbeerbeinen«, dessen Lebensfähigkeit der örtliche Arzt als »Wunder« bezeichnete. Es war der Pfarrer, der tröstete: »Die dürren Körper wehren sich am längsten.« So einer wird, 2006, sogar Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Beizeiten der Abgang in den Westen, Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwaltschaft (»aber nur für kleine Fälle«). Die größeren Fälle übernimmt er in der Kunst. Attackiert die Religion des Kapitals: Eine feste Burg ist unser Schmott.
Der Gang durch die Ausstellung im Folkwang-Museum bietet eine Revue des produktiven Rumors. Ostermärsche, Berufsverbote, Neofaschismus, Tarifkämpfe – Plakate erzählen Bundesrepublik. Nie ist Staeck ein Demokrat auf fremdem Boden gewesen. Sah die Achtundsechziger »mit Erstaunen und Erschrecken«. Was ihn erstaunte, war der Schwung; was ihn erschreckte, war »das kulturlos Antibürgerliche«. Linke Haltung erscheint in diesem Oeuvre nicht als jenes besserwissend gebieterische Sonderbewusstsein, das sich allen anderen Ansichten als vorgeschaltet empfindet. Nein, diese Gesellschaft ist aufgebaut und verändert worden von Menschen, die aus gutem Grund – nach Auschwitz und mit vergleichendem Blick auf Moskau – ihren Frieden mit Deutschland machten. Das war immer auch: ein Frieden im Zorn.
Wichtige Erfahrung mit dem Gesetz des Demokratischen: Man wird verführbar, eigene Positionen anderen Kräften auszusetzen – und verändert sich dabei. Nie nur zum Guten, aber auch nie bloß und ausschließlich zum Schlechten. Mit dieser Haltung ist Staeck Sozialdemokrat geworden – und so leidend wie streitend geblieben. Just seiner Gabe zur Satire kam die Realität übrigens mit einer augenzwinkernden Fügung entgegen: Sie setzte 1960 den Eintritt in die Partei und den Beitritt zur Krankenkasse auf ein gemeinsames scherzhaftes Datum – den 1. April. Zwei Mitgliedschaften, die eines vereint: »keine Rückversicherung«.
Plakate, die Legion sind: Leichen in einem KZ werden von einer Baggerschaufel zusammengeschoben – und der Schriftzug: »Wir sind für die Ostverträge, Herr Barzel! Interessengemeinschaft der Toten des II. Weltkrieges« +++ Das Schwarz-Weiß-Foto eines GI vor entlaubtem Wald – und der giftgrüne Schriftzug: »Vietnamesische Vegetation nach der Berührung mit US-Kultur« +++ In der Ferne eine Palmeninsel, vom steigenden Meeresspiegel bedroht – und der Schriftzug: »Was gehen uns die Malediven an. Dann fahren wir eben wieder nach Spanien.«
Er hat viel aushalten müssen. Über vierzig juristische Einsprüche gegen Plakate oder Postkarten! Anwürfe aus allen politischen Richtungen. Und kuriose Geschichten. Der Angestellte einer Firma bekam eine drohende Abmahnung, weil eine Kunstpostkarte Staecks am Arbeitsplatz prangte. Er ging vor Gericht, das entschied für ihn, denn: »Die Lufthoheit über dem Schreibtisch« sei nicht belangbar. Zahlreiche Ausstellungen wurden behindert. Noch Fadenscheinigstes half, Wirkung zu blockieren: Einmal musste eine Exposition ausfallen, da ein Hausmeister plötzlich gestorben war – ein Zufall kam den Zensoren zu Hilfe. Nächster Versuch am gleichen Ort, wieder Ablehnung: Denn schließlich sei der Hausmeister »noch immer tot«.
Als ein Staeck-Plakat dazu aufrief, CDU zu wählen, denn »Die Reichen müssen immer reicher werden«, protestierten Heidelberger Christdemokraten. Nicht weil sie sich angegriffen fühlten, sondern weil sie das Plakat für eine parteieigene Werbe-Idee und eine derart ehrliche Aussage im Wahlkampf für sehr unklug hielten. Freude und Tragik der Satire: Sie lebt von Leuten, die keinen Spaß verstehen. Manchmal kostet Charakter Anwälte. Noch besser freilich sind Verbündete. Wie Joseph Beuys (ein Video-Gespräch zeigt ihn und Staeck in den USA). Oder Heinrich Böll. Die Ausstellung erinnert an die »Aktion für mehr Demokratie«, 1983. Staeck hatte die Grugahalle in Essen gemietet, er druckte live, und Freunde – Schlöndorff, Hüsch, Grass – hielten Reden. 7000 Leute kamen!
Plakate, die Legion sind: Blick in die ersten Reihen des Bundestages: Männer – und der Schriftzug: »Jeder zweite Abgeordnete ist eine Frau.« +++ Die fünf olympischen Ringe, darin die Firmenlogos von Mercedes, Coca Cola, adidas, McDonald’s, BMW – und der Schriftzug: »Wir rufen die Jugend der Welt!« +++ Entsetzliche Rauchschwärze steigt aus Industrieschornsteinen – und der Schriftzug: »Brüder zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor!« +++ Ein bullenbeißiger Arzt im weißen Kittel hebt mahnend den Zeigefinger, die andere Hand präsentiert einen 1000-DM-Schein – und der Schriftzug: »Vergiß den Krankenschein nicht!«
Die Ausstellung zeigt 200 Plakate von 1971 bis 2017, zum großen Teil Originale. Zu sehen sind auch Siebdrucke, Videos. Die Bücher seiner eigenen Edition. Seine Kunst fand den Weg auf Postkarten, Flugblätter, Aufkleber, Schilder und Tragebeutel. Insgesamt 28 Millionen Druckerzeugnisse! Im Folkwang-Museum auch Plastiken, Installationen, die abstrakten frühen Holzschnitte; dokumentiert wird die langjährige Zusammenarbeit des Künstlers mit seinem Drucker und Verleger Gerhard Steidl.
Mag sein, dass die Beredsamkeit des Plakats längst verraten wurde. An die Non-Reader, an die Organisatoren der turnusmäßigen Wahlkrämpfe, an jene Verkäufer, die Käufer fangen wie Werber früher Soldaten. Staeck ficht das kaum an, er bleibt plakatief. Arbeitet weiter mit Denk-Bildern gegen den Vormarsch jener Bilder, die uns abstumpfen. Ist überzeugt vom Einklang – des Ethischen mit dem Ästhetischen und dem Sozialen. In dieser Überzeugung, die nicht altmodisch, sondern modeabweisend ist, lässt er sich gern als Auslaufmodell bezeichnen. Ob Flüchtlingsbeben, Bankenskandale, Waffenexport, Fundamentalismus, Trump: Wenn Immanuel Kant meinte, die beste Verfassung sei jene, die noch eine Gesellschaft von Teufeln zwänge, einander Gutes zu tun, so kämpft Staeck gegen die Gefahr einer Zukunft, in der selbst Engel gezwungen sein könnten, einander Ungutes zuzufügen. Leonardo, Caspar David Friedrich, Spitzweg oder Bosch hat er gleichsam aus dem Museum auf die Straße geholt. Ja, Kunst an die Wand! Damit sie lebt – indem jeder sie sehen kann.
An diesem Mittwoch wird Klaus Staeck 80 Jahre alt.
»Klaus Staeck. Sand fürs Getriebe«, bis zum 8. April im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen. Katalog: 20 €.
Ein Gedanke zu „„Kunst an die Wand!““