Deutsche Auto-Narren dürfen sich immer noch den Frust von der Seele rasen
von Klaus Staeck
Was haben Deutschland und Nordkorea gemeinsam? Sie gehören zu den letzten Ländern der Welt ohne Tempolimit. Aber wie lange wollen wir noch wie Nordkorea bleiben?
Bei Fußball und Auto hört in Deutschland der Spaß auf – oder fängt bei einigen Mobilisten erst an. Fahrspaß nennt man das. Dass solches Vergnügen keine Privatangelegenheit einiger Autonarren ist, beweist die neueste Ausgabe der „ADAC Motorwelt“, das Zentralorgan der Asphaltritter. Darin wird unter der Überschrift „Das Imperium schlägt zurück“ von dem in Stuttgart gebauten Porsche „Taycan“ geschwärmt: „Ein sündhaft teurer und atemberaubend schneller Sportwagen.“ Das 625 PS-Modell könne in zehn Sekunden von 0 auf 200 km/h beschleunigen. Es gäbe bereits 30.000 Vorbestellungen – eine Jahresproduktion.
Derlei technische Siegesmeldungen passen derzeit so gar nicht in die Debatte über ein fälliges Tempolimit auf deutschen Autobahnen, „dem letzten Stück Freiheit“. Die Verkehrskommission der Bundesregierung hatte sich bereits 2018 für eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h ausgesprochen.
Eine Entscheidung, die Verkehrsminister Andreas Scheuer – die wohl trübste Zündkerze auf der Regierungsbank – zu der abenteuerlichen Äußerung veranlasste, diese Vorschläge seien „gegen jeden Menschenverstand“. Die Anregungen würden mit „völlig überzogenen, realitätsfernen Gedanken spielen“, „Zorn, Verärgerung und Wohlstandsverlust in der Bevölkerung hervorrufen“.
Tempolimit auf Autobahnen: 51 Prozent der Deutschen sind dafür
Wie uns die Statistiken verraten, sind inzwischen 51 Prozent der Deutschen für ein Tempolimit auf Autobahnen – 47 Prozent dagegen. Noch die plausibelsten Argumente pro und contra Auto geraten hierzulande zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen. Immerhin ist es 1972 gelungen, ein Tempolimit von 100 km/h auf Landstraßen durchzusetzen.
Als der sozialdemokratische Verkehrsminister Lauritz Lauritzen im November 1973 anlässlich der Ölkrise den Versuch unternahm, Tempo 100 auch auf Autobahnen einzuführen, traf er auf den geballten Widerstand von ADAC und „Bild“. Ich habe noch ein Exemplar dieser Zeitung aufgehoben, die den Minister auf der Titelseite mit der Verballhornung seines Namens als „Minister LauLau“ persönlich angriff. Der „Auto-Friede“ trat wieder ein, als das Tempolimit auf Autobahnen im März 1974 wieder aufgehoben wurde. Der Bundesrat hatte einer Verlängerung nicht zugestimmt.
Im Vergleich zu damals ist heute der Einspruch der „Bild“-Zeitung gegen Tempo-Begrenzungen, nur den ADAC zitierend, fast moderat. Bis es dazu kommt, bleibt Deutschland auf bestimmten Teilstrecken ein Raser-Paradies. PS-Freaks aus aller Welt werden magisch angezogen. Vor allem Schweizer Auto-Narren wollen sich auf einem süddeutschen Teilstück der BAB Lust und Frust von der Seele rasen.
Laut dpa kam es Anfang November 2015 „zu einer Wettfahrt von Eidgenossen auf der Autobahn 98 bei Stockach (Kreis Konstanz). Dem Polizeibericht nach hätten sich sechs Autos mehrfach formiert, den Verkehr auf der Autobahn bis zum Stillstand ausgebremst und dann massiv beschleunigt“.
Selbst in China hat sich herumgesprochen, dass man durch unser Land noch mit Vollgas kommt, ganz legal. So lieferten sich 36 Chinesen nach langer Anreise vor einiger Zeit zwischen Isny und Wangen (Kreis Ravensburg) auf einer Bundesstraße (!) mit gemieteten Wagen ein Rennen. Als die Polizei die Raser stoppte, waren sie nur widerwillig bereit, eine Sicherheitsleistung von 200 Euro zu hinterlegen. Die Betonung liegt für mich auf ganz legal. Die Frage bleibt: Wie lange noch wollen wir mit Nordkorea eines der letzten Länder ohne generelles Tempolimit sein?
Die Kolumne erschien am 17.10.2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau. In der FR online wurde sie mehr als 370 mal kommentiert.