Wörter wie Arsen

Kolumne vom 9.1.2020

Das Gift der Hass-Sprache wirkt schon in kleinen Dosen, auch wenn wir zuerst gar nichts merken. Verbote allein helfen gegen diese Bedrohung nicht. Die Kolumne.

Für alle, die sich bislang im Internet mit Hasstiraden und Gewaltaufrufen gegen Personen ungestraft hervortaten, soll es im neuen Jahr deutlich ungemütlicher werden. Endlich.

Ich erinnere an den erzgebirgischen Galgenbastler, dem die Chemnitzer Staatsanwaltschaft vor zwei Jahren mit der Einstellung der Ermittlungen beschied, da ja noch keiner der namentlich genannten Politiker am Strang gehangen habe und mögliche zukünftige Taten nicht geahndet werden könnten.

Offenbar sieht der Gesetzgeber die Gefahr jetzt konkreter, dass der Weg immer kürzer zu werden droht, bis aus Worten kriminelle Taten werden. Es ist schon mehr als ein diffuses Gefühl, dass die Flut von Hass und Drohungen im Internet gegen viele Mitbürger steigt, die als aufrechte Demokraten in der Öffentlichkeit stehen, sich kommunalpolitisch und ehrenamtlich engagieren.

Das Justizministerium hat noch im Dezember einen Entwurf zur Verschärfung des Strafrechts vorgelegt, der jegliche Bedrohung mit einem Gewaltdelikt betrifft. Künftig soll auch die Billigung von Straftaten, die noch nicht begangen, aber in Aussicht gestellt wurden, konsequent geahndet werden.

Um sich gegen all das durchzusetzen, was meist anonym und im diffusen Raum des weltweiten Internet gepostet wird, bedarf es weiterer gesetzlicher Änderungen. So sollen Betreiber von Internetplattformen künftig nicht nur zur Meldung von Hass- und Drohmails verpflichtet werden. Sie müssen zudem der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden umfassende Auskünfte über die kriminellen Absender bis hin zu Passwörtern geben.

Mit dem Löschen der Beiträge ist es also künftig nicht getan – die Ermittlung der Täter soll Priorität bekommen. Facebook, Twitter & Co. drohen Strafen in Millionenhöhe, wenn sie ihrer Pflicht, anonyme Hetzer zu melden, nicht nachkommen.

So weit, so gut – der Handlungsdruck ist offenbar groß genug geworden. Er sollte auch den Argumenten des Datenschutzes und des Rechts auf freie Meinungsäußerung standhalten, weil der Schutz von Menschenwürde und Unversehrbarkeit von Personen gleichfalls hohe und bewahrenswerte Güter sind.

Aber wird das alles genügen, um in absehbarer Zeit eine spürbare Abrüstung bei den verbalen Hass-Kriegern zu erreichen? Werden Einschüchterungen und Beleidigungen zurückgehen, die Kommentarfunktionen und Blogs im Internet zur Kloake verkommen lassen, wenn Moderatoren nicht das Schlimmste aussondern? Ich werde nicht der Einzige sein, der daran zweifelt, dass allein schärfere Gesetze einen gesellschaftlichen Ruck veranlassen, der dafür sorgen könnte, herabwürdigende, hetzerische Sprache zu ächten.

„Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Das schrieb Victor Klemperer in seiner großartigen Analyse zur Sprache des Dritten Reichs, „LTI“.

Klemperer beobachtete über zwölf Jahre, wie die Sprache des Nationalsozialismus „in alle Ritzen von Alltag und Kultur“ eindrang, wie ein solcher „Verrat an aller Bildung, aller Kultur, aller Menschlichkeit“ möglich war. Noch als Hochschullehrer bemerkte er Jahre nach dem Ende des Krieges die tief eingefressenen Spuren der Sprache aus der NS-Zeit.

Wo sind die Analytiker der aktuellen Sprachdeformationen im Internet-Alltag, die selbst mit einer verständlichen, lebendigen Sprache die Defizite einer Kommunikation beschreiben, die Aufmerksamkeit um jeden Preis, selbst um den der Würde und der Humanität, erzielen will?

Die Kolumne erschien am 9.1.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.

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