Zum Tode von Rolf Hochhuth hat es an ehrenden Nachrufen wahrlich nicht gefehlt. Dennoch changierten die postumen Urteile über den Dramatiker von „Lautsprecher“, einen der „hitzigsten Köpfe“ bis zu „Don Quichote“ und „unser Luther?“, dem „Theateraufklärer und Wutbürger“. Für mich war er stets der Demokrat, der sich zu verteidigen wußte, der vor allem die Barbarei der Nationalsozialisten zum Gegenstand seiner künstlerischen Arbeit machte. Der Elfenbeinturm war ihm fremd. Mit feinem Gespür bewegte er sich steinewälzend in den Untiefen der Gesellschaft – war Angreifer, kein Besänftiger, wenn Ungerechtigkeit und Verdrängung auf seine Antworten warteten.
Auf Arbeitsebene sind wir uns persönlich 2001 das erste Mal begegnet, als er mich um ein Plakat für seinen „Stellvertreter“ im Berliner Ensemble bat. Es war die Art unseres streitbaren politischen Vorgehens ohne Risikorückversicherung, die es mit sich brachte, dass wir in dem Hamburger Rechtsanwalt Heinrich Senfft den gleichen engagierten Verteidiger gefunden hatten, der uns in diversen Auseinandersetzungen juristisch vertrat. Ich war 1972 vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß wegen meines Plakates „Juso beißt wehrloses Kind“ erfolglos verklagt worden. Hochhuth hatte 1979 den baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Marinerichter Hans Georg Filbinger in der „ZEIT“ als „furchtbaren Juristen“ bezeichnet, ohne zunächst den Vorwurf konkret zu belegen. Während die Besorgten sogleich zum Vergleich wenn nicht gar zum Widerruf rieten, erbat sich Hochhuth wenige Tage Bedenkzeit.
In Kenntnis der verbürgten deutschen Bürokratie machte er sich auf die Suche nach Todesurteilen, die Filbinger noch nach der Kapitulation gefällt hatte. Davon überzeugt, dass derartige Schriftstücke hierzulande irgendwo aufbewahrt werden, führte ihn sein Weg schließlich ins Bundesarchiv nach Koblenz. Hier begrüßte ihn ein Mitarbeiter mit den Worten: „Wir wissen, was Sie suchen!“, ging ins Archiv und kam mit einem Stapel Akten zurück – darunter das Todesurteil gegen den Matrosen Gröger. Von sich aus könnten die Beamten der Behörde nicht tätig werden, aber auf Nachfragen antworten.
Zu einer denkwürdigen Begegnung mit mehreren Beteiligten kam es, als der Berliner Staatssekretär André Schmitz in seiner Privatwohnung den Versuch einer „Friedenskonferenz“ unternahm. Die um das Berliner Ensembleim Streit liegenden Parteien Hochhuth versus Peymann waren jeweils mit ihren Sekundanten bei Speis und Trank zu bühnenreifer Redeschlacht angetreten. Als Akademiepräsident hatte Schmitz mir die Rolle des Friedensrichters zugewiesen. Auch wenn sich beide Seiten an diesem Abend wortreich ihrer jeweiligen fachlichen Hochachtung versicherten – zu einer tragfähigen Lösung kam es nicht.
Was ich an Rolf Hochhuth immer geschätzt habe, war seine Beharrlichkeit in der Verfolgung eines einmal gesteckten Ziels bei seinen vielfältigen Aktivitäten jenseits des Theaters. Dazu gehörte sein Engagement , um für den Hitler-Attentäter Georg Elser in der Hauptstadt einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Hochhuth scheute weder die Mühen der Ebenen noch die der Bürokratie, um an prominenter Stelle in der Berliner Wilhelmstraße ein Denkmal mit dem Profil Elsers in Form einer Stele durchzukämpfen.
Er ist der unermüdliche Aufklärer, der unruhige Freund, der nicht nur mir fehlen wird.
Klaus Staeck, 16. Mai 2020