Wenn Rechtsextreme sich mit Antifaschisten schmücken, ist Vorsicht geboten. Abkehr von Rassismus und Antisemitismus? Die Imagekampagnen der europäischen Rechten sind allzu durchsichtig. Kolumne vom 20.8.2020
Als dieser Tage zu lesen war, der neue rechtsnationale Bürgermeister von Perpignan werde einem städtischen Kunstforum, das den Namen Walter Benjamins trägt, zu neuer Bedeutung verhelfen, gab es nicht nur in Frankreich Skepsis und Protest. Auch ich habe den offenen Brief unterschrieben. Ich glaube nicht daran, dass sich ein „Rassemblement National“ mit der taktischen Finte einer „Entdiabolisierung“ in eine demokratische Partei verwandelt, der das Gedenken an den antifaschistischen Flüchtling Benjamin, der sich nahe Perpignan 1940 das Leben nahm, etwas bedeutet. Zu durchsichtig ist die Absicht der RN-Chefin Marine Le Pen und ihres zeitweiligen Lebensgefährten, Bürgermeister Louis Aliot, erkennbar, dem kommunalen Wahlerfolg eine Imagekampagne anzuheften. Die angebliche Abkehr von Rassismus und Antisemitismus, gepaart mit einer starken Portion „Frankreich zuerst!“ sollte dem RN Wählerstimmen von Arbeitern und Arbeitslosen aber auch Angehörigen länger ansässiger ethnischer Gruppen sichern. Wobei es gerade der RN ist, der in der Regel Migranten und Ausländer für innenpolitische und soziale Konflikte verantwortlich macht.
Nach außen sucht man Verbindungen zu rechten europakritischen Verbündeten – noch vor einem Jahr träumten Marine Le Pen, Strache von der FPÖ (vor seinem tiefen Fall) und Salvini von einem neuen Europa der Nationen und einer schlagkräftigen Fraktion der Europafeinde als zweitstärkster Kraft im EU-Parlament. Daraus ist nun erst mal nichts geworden. Aber wer weiß, welche neuen Allianzen zwischen Orban und Freunden von der AfD sich noch zusammenfinden…
Zurück zur schamlosen Vereinnahmung Benjamins. Seine Worte „Auch die Toten werden, vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein“, stellten die Unterzeichner dem in Le Monde veröffentlichten Brief voran. „Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört,“ heißt es in einem seiner letzten Texte, „Über den Begriff der Geschichte“.
Genau vor einem Jahr gab es hierzulande in Thüringen eine kulturpolitische Episode, die zu ähnlichem internationalem Protest gereicht hätte wie die von Perpignan. Die AfD erhob im Weimarer Stadtparlament Anspruch darauf, den Vorsitz des Kulturausschusses zu übernehmen. Direkt nach der Kommunalwahl hatte die Fraktionsvorsitzende erklärt, man werde die Arbeit im Ausschuss „an der gesamtpolitischen Ideologie der AfD“ anlehnen. Die damit verbundene Zuständigkeit für die Gedenkstätte des einstigen KZ Buchenwald brachte den Vorgang weit über das Niveau einer Lokalposse. Dem AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, der eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte, war schon 2017 vom Direktor der Buchenwald-Stiftung der Zutritt zu Gedenkveranstaltungen untersagt worden. Volkhard Knigge hat das Verbot auch in diesem Jahr, quasi als Vermächtnis vor seinem Eintritt in den Ruhestand, noch einmal erneuert. Die Partei droht seitdem, juristisch dagegen vorzugehen. Knigge hat in der Öffentlichkeit präzise argumentiert, die Geschichte Weimars werfe ein klares Licht darauf, was völkische, illiberale Kulturpolitik bedeute. Schon vor 1933 haben völkische Kulturpolitiker Spielpläne, Bibliotheken und Museen „gesäubert“ und die Machtübernahme erprobt. Wenn die AfD immer wieder in ihrem Sinne ein „Neutralitätsgebot“ der Kultur- und Gedenkstätten einfordere, müsse erwidert werden: „wir sind nicht wertneutral im Sinne der Verteidigung und Bewahrung demokratischer Kultur und des damit verbundenen Menschenbildes der unteilbaren Würde.“
Die Kolumne erschien am 20.08.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau (online am 19.08.2020).