Pegida wettert immer noch in Dresden, wo der Verfassungsschutz sie viel zu spät als verfassungswidrig einstufte. Kolumne vom 27.05.2021
Auf der letzten Dresdner Pegida-Versammlung wurden Israel-Flaggen geschwenkt und die Gegendemonstranten als „faschistischer Abschaum“ diffamiert. Der politische Irrsinn feierte auf dem Altmarkt ein Fest mit zynisch verwendeten Symbolen der Ablenkung, um den Verfassungsschutz vorzuführen.
Einige Tage zuvor wurde Pegida von der zuständigen Behörde Sachsens als „verfassungswidrige Bewegung“ eingestuft. Immerhin, sechs Jahre nach der Gründung dieses von Beginn an anrüchigen Vereins „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“.
Ralf Stegner, damals noch SPD-Vize, forderte als einer der ersten den Verfassungsschutz auf, er solle die Organisatoren wegen ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen beobachten. Man musste schon über Jahre, in denen die Montags-Redner fünfstellige Besucherzahlen auf die Beine brachten, Augen und Ohren fest geschlossen halten, um justiziable Volksverhetzung und rhetorische Tabubrüche ignorieren zu können. Die rechtsextreme Radikalisierung der Protestbewegung um den mehrfach vorbestraften Initiator und Vereinsvorsitzenden Lutz Bachmann war offensichtlich.
Anfangs hatte die AfD noch Vorbehalte, ihre Redner auf die Lkw-Tribüne zu schicken, weil Alexander Gauland befürchtete, man könne die bürgerlichen Wähler durch Auftritte mit Pegida verschrecken. Aber da es ihm nicht gelang durchzusetzen, dass Bachmann „aus dem Schaufenster der Bewegung verschwindet“, arrangierte man sich 2018 mit der Dresdner Pöbeltruppe und hob das Verbot auf. Nicht nur Höcke nutzte das Podium, von dem der Autor Akif Pirincci den Satz unter die Menge brachte: „Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“
Bachmann hat sich für seine Rede am 3. Mai wohl daran erinnert, als er für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl vorhersagte, dass „Einrichtungen für Quarantäneverweigerer zu Konzentrationslagern“ würden, um Delinquenten wie ihn wegzusperren. Inzwischen läuft es so auf eine Annäherung der Schützer des Abendlandes mit den aggressivsten Gegnern der Pandemiepolitik hinaus.
Wenn der Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz jetzt von einer „verbalen wie auch ideologischen Radikalisierung und Enthemmung“ der Bewegung spricht, kommt das reichlich spät.
Die „zunehmende Entgrenzung zwischen demokratischen, radikalen und extremistischen Positionen als ernst zu nehmende Gefahr für die freiheitlich-demokratisch verfasste Gesellschaftsordnung“ hätte längst genügen müssen, die Veranstalter des Spuks, der nur noch einige Hundert Schreihälse und Neugierige anlockt, schärfer unter die Lupe zu nehmen.
Derweil gibt es auch stillere Bewegungen in Sachsen, das der MDR dieser Tage als „Sehnsuchtsort der Rechtsextremisten“ ausmachte. Immer mehr „völkische Siedler“ aus dem Umfeld der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ lassen sich hier nieder. Ihre Tradition und Ideologie reicht im rassistischen und antisemitischen Denken noch vor die Zeit des Nationalsozialismus zurück.
Sie suchen im Rahmen der Kampagne „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ zunächst nach Lebensräumen für die Erziehung ihrer Kinder. Zugleich beginnen sie über ihre Netzwerke politisch Einfluss zu nehmen.
Erste Erfahrungen haben die Ortsansässigen bereits mit Protesten der Zugezogenen gegen die Corona-Maßnahmen gemacht. So entstehen für Leute vom rechten völkischen Rand neue Betätigungsfelder und keineswegs nur Rückzugsorte.
Die Kolumne erschien am 27.05.2021 in der Frankfurter Rundschau.