Die Demokratie braucht die Kunst. Und die wiederum braucht ein kulturfreundliches Klima – eine Herausforderung für die Zivilgesellschaft. Kolumne vom 16.09.2021
Man hätte die Abende also auch anders verbringen können – zum Beispiel mit der Lektüre einer Feuilletonseite in der ZEIT. Dort las ich den Gastbeitrag von Olaf Scholz und Carsten Brosda, Hamburger Senator für Kultur und Medien, „Warum die SPD ein Bündnis von Politik und Kultur anbietet“. Das ist besser und hat mehr Substanz als ein Konzentrat aus dem bisher Triellierten.
Da geht es zunächst um den immensen Schaden, der Künstlern wie Veranstaltern und nicht zuletzt dem Publikum durch den Corona-Stillstand widerfuhr. Noch wissen wir nicht, wie vielen Kinos und Clubs die Pandemie die Existenzgrundlage entzogen hat, wie viele Künstler aufgeben mussten, weil Auftrittsmöglichkeiten und Überbrückungshilfen ausblieben. Die Autoren drücken sich nicht vor ihrer Verantwortung, das Vertrauen zwischen Kunst und Politik wiederherzustellen. Das ist nicht allein mit Sonderfonds in Milliardenhöhe zu erreichen. Es bedarf auch der festen Versicherung, dass die Gesellschaft die Kunst und die kulturellen Angebote wie auch die unbequemen Herausforderungen der Kreativen braucht, um des Lebens Sinn zu begreifen, der sich nicht allein im Konsumrausch finden lässt. Der Aufsatz erinnert daran, dass in der Geschichte der Sozialdemokratie die Kultur „nie bloß bürgerliches Ornament“ war, da sich die Arbeiterbewegung von Anfang an auch als Kulturbewegung verstand. Der Text ist ein Plädoyer für den offenen Dialog zwischen Politik und Kunst, um einem möglichen oder bereits geschehenen Vertrauensverlust entgegenzuwirken, der sich in der Pandemiezeit auszubreiten begann.
Letztlich geht es darum, wie Künstlerinnen und Künstler und im weitesten Sinne für die Kultur Tätige die Demokratie verteidigen und von der Politik verstanden werden als Partner, die widerständig sind, meist nicht die gleiche Sprache sprechen, weil sie schon von Beruf her Worthülsen und Demagogie entlarven, oder mit Satire und Ironie die Widersprüche tanzen lassen. Es gehe darum, schreiben die Autoren, das Politische als jenen Raum zu begreifen, der sich zwischen den debattierenden Bürgerinnen und Bürgern einer Gesellschaft öffnet „und in dem jene Macht entsteht, die demokratisch notwendig ist“. Es sei zwingend, dass Kreative diesen Raum aus ihrem ästhetischen Eigensinn heraus leidenschaftlich mitgestalten. „Das wilde und freie Denken und Arbeiten der Kunst kann einer Gesellschaft helfen, sich selbst klarer und schärfer zu sehen.“ Deshalb müsse die Freiheit der Kunst und die Vielfalt künstlerischen Arbeitens geschützt und müssten die Strukturen kultureller Produktion gesichert werden.
Ein so vielversprechendes Angebot kann freilich nicht durch die Order einer Regierungsautorität durchgesetzt werden – es bedarf eines kulturfreundlichen Klimas in den Bundesländern und Kommunen, es ist eine Herausforderung an die Zivilgesellschaft. Meine Existenz als Künstler in diesem Land war immer begleitet von der Idee „Kunst für alle“. Das war ein aufklärerisches und politisches Programm, dem ich mich immer noch verpflichtet fühle. Auch Moderatoren sollten das Thema Kultur nicht ignorieren.
Die Kolumne erscheint am 16.09.2021 in der Frankfurter Rundschau.