Die Grenzen des Wachstums sind seit 50 Jahren bekannt. Ein „Weiter so wie bisher“ wird der Menschheit die Existenzgrundlagen entziehen. Die Kolumne vom 02.06.2022
Was geschieht eigentlich, wenn wir es nicht schaffen, die vor sieben Jahren in Paris vereinbarten Klimaziele einzuhalten, wonach die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzt werden müsse?
Wenn gerade in diesen Tagen in Stockholm an die erste UN-Umweltkonferenz vor 50 Jahren am gleichen Ort erinnert wird, dann dürfte Ernüchterung die mögliche Jubiläums-Feierlaune gründlich verderben. Angesichts der Hoffnung von damals und des Fehlens von Visionen heißt die Bilanz: „Die Umweltdiplomatie ist am Boden“. Ole von Uexküll, dessen Stiftung den Alternativen Nobelpreis vergibt, kommt zu diesem Ergebnis, weil es nicht gelungen ist, wirklich verbindliche Regelungen zu vereinbaren, um tiefgreifende Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Von den „Grenzen des Wachstums“, die der Club of Rome zeitgleich vor einem halben Jahrhundert einforderte, um der Zivilisation die Gefahren des Überschreitens dieser Grenzen zu verdeutlichen, war spätestens seit dem Durchstarten der neoliberalen Wirtschaftsordnung und einer hemmungslosen Globalisierung keine Rede mehr. Nachfolgende Klimakonferenzen galten den Verfechtern eines blinden Fortschrittsglaubens nur noch als Bremsklötze. Dieser Fortschritt sollte allein den Kapitalerträgen der 1,1 Prozent Dollarmillionäre dienen, die über die Hälfte des weltweiten Eigentums verfügen. Uexküll schrieb in der ZEIT, dass diesen Menschen angesichts der Vervielfachung ihres Besitzes die Idee von den Grenzen des Wachstums wie ein fataler Irrtum erscheinen muss. Von der Klima- und Umweltkrise sind sie, die den Hauptanteil an Emissionen verursachen, am wenigsten betroffen und haben die Möglichkeit, sich zu wappnen. „Der Mythos vom unendlichen Wachstum ist bis heute die wichtigste Rechtfertigung für den Fortbestand der Ungleichverteilung.“
Auch der Klimaexperte Mojib Latif hat deutliche Zweifel, dass die Warnungen des Club of Rome und die Befunde seiner Berufskollegen aus den letzten Jahrzehnten zum Zustand des Planeten schon im Bewußtsein der politischen wie der ökonomischen Entscheidungsträger angekommen sind. Ein „weiter so wie bisher“ werde der Menschheit die Existenzgrundlagen entziehen, denn „wir haben die planetare Geisterfahrt fortgesetzt“, vor der der Club of Rome gewarnt hatte. Weil es unabsehbare Folgen hätte, wenn die Menschheit die wissenschaftlich fundierten Klimaziele verfehlt und die Zeit des Handelns ablaufe, gab er seiner gerade erschienenen Mahnschrift den Titel COUNTDOWN. Es liest sich wie ein letzter, verzweifelter Appell, weil sich nur noch mit sehr schnellen und drastischen Senkungen des weltweiten CO2-Ausstoßes das Pariser Klimaabkommen überhaupt einhalten ließe. Ohne drastische Klimaschutzmaßnahmen drohe die Überhitzung der Erde mit allen absehbaren Folgen und das Zeitfenster werde immer kleiner, wenn nicht beispiellose Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase ergriffen würden. Das heißt nichts anderes als der Abschied von fossilen Brennstoffen, „bevor eine Situation eintritt, wo es keine Umkehr mehr gibt“.
Am Ende noch ein Blick in die Realpolitik: Fahrer von SUV, die gut das doppelte wie Kleinwagen verbrauchen, wurden gerade mit der Senkung des Energiesteuersatzes belohnt, und für die Diskussion um ein Tempolimit 100 auf deutschen Autobahnen ist dem Verkehrsminister kein Argument zu peinlich. Offenbar ist die Botschaft zum Ernst der Situation irgendwo im Stau stecken geblieben.
Die Kolumne erschien am 02.06.2022 (online am 01.06.) unter dem Titel „Im Stau stecken geblieben“ in der Frankfurter Rundschau.