Kolumne vom 02.05.2024
Eigentlich sollte der FDP-Verkehrsminister in meinen Kolumnentexten nicht mehr vorkommen. Seine argumentativen Tricksereien zum Vermeiden einer von fast allen europäischen Staaten als vernünftig angesehenen Tempobeschränkungen sprechen für sich und die ultimative Drohung mit Fahrverboten haben den Minister disqualifiziert.
Die Einhaltung zulässiger Emissionsziele wird bekanntermaßen vom Verkehrssektor ignoriert. Die mögliche Einsparung von bis zu 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr bei Tempo 120 auf Autobahnen und 80 auf Fernstraßen werden als Pinuts abgetan. Sollen sich doch die anderen Sektoren der deutschen Wirtschaft um die Planetenrettung kümmern – „Freie Fahrt für freie Bürger“, selbst wenn inzwischen immer mehr Deutsche auf das Alleinstellungsmerkmal des freien Rasens verzichten würden, weil die Einsicht, dass je schneller man fährt desto mehr umweltschädliche Emission entsteht, langsam die Massen erreicht.
Zum Glück wachsen außerhalb der Lufthoheit über dem Schreibtisch eines Bundes-Verkehrsministers das Bemühen und die Kreativität, zum Klimaschutz zu beizutragen. So stehen in meiner Heimatstadt Heidelberg Ressourcenschutz und CO2-Reduzierung im Mittelpunkt, wenn aus dem Bauschutt von 170 abgerissenen Gebäuden im ehemaligen Militärgelände des Patrick-Henry-Village Neubauten entstehen sollen. „Urban mining“ nennt sich diese Methode, die Beton, Verputz und Ziegel für den Wiederaufbau recycelt. Zwar kostet auch diese Kreislaufwirtschaft wieder ein bestimmtes Maß an Energieaufwand, aber angesichts knapper und teurer werdender Ressourcen ist die Wiederverwertung sinnvoller als der Transport von potentiellem Baumaterial auf eine Müllhalde. Heidelbergs Bürgermeister will 90% der stadtweit anfallenden Baustoffe wiederverwenden. Da die Betonherstellung nicht unwesentlich am CO2-Ausstoß beteiligt ist, wird auch die Stadt, die „Heidelberg-Zement“ den Namen gab, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Deutschlandweit werden pro Jahr 32 Millionen Tonnen Zement produziert, was 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid freisetzt, etwa drei Prozent der Gesamt-Emission dieses Gases. Weltweit entstehen auf diese Weise sogar acht Prozent des CO₂-Ausstoßes.
Es ist also inzwischen ein wichtiges Thema für die Bauforschung, kohlendioxidneutrale Betonrezepturen zu entwickeln, den Zementanteil durch alternative Bindemittel zu ersetzen, um beim Brennvorgang das Austreiben des CO2 zu verhindern.
Vor einer Woche startete im niedersächsischen Soltau mit dem „Bton Fertigteilwerk“ (ohne -e!) die erste deutsche Produktion von „klimapositivem“ Beton, der sogar mehr CO2 einsparen soll als in der Atmosphäre freisetzt werden. Man tauscht bei der Zementherstellung Zuschlagstoffe wie Klinker aus, deren Brennvorgang mit extrem hohen Temperaturen erfolgt.
Auch die Weimarer Bauhaus-Universität meldet die Entwicklung eines „Kalzinators“. Diese Technik nutzt heimische Tonvorkommen, die thermisch behandelt „kalziniert“ werden und mit weitaus geringerem CO2-Ausstoß als Zuschlagstoff der Betonindustrie Verwendung finden. Dem Freistaat Thüringen ist die Pilotanlage eine Million Euro Förderung wert.
Was mögen jene, die um jede Tonne CO2-Reduzierung ringen, denken, wenn sie die Argumente aus dem Verkehrsministerium hören? Klimaschützer und Umweltverbände reden von Politikversagen und Destruktion der Klimaschutz-Architektur.
Ich sehe im „Urban mining“ wie im „Bton“ und im „Kalzinator“ immerhin Zeichen von Vernunft und Hoffnung.
Auch wenn man es „Urban Mining“ nennt, wird Beton keineswegs „grün“. Urban Mining ist NICHTS als ein weiterer Euphemismus…
Wollten wir tatsächlich Klimaschutz, sollten wir vor Beton – in jeder Form – besser zurückschrecken:
Beton gilt konstruktionsbedingt (zusammengebracht mit rostendem Stahl) als stark schadensanfällig (siehe Brückensperrungen, Brücken- und Gebäudeeinstürze), schwer und nur sehr teuer zu reparieren und nachhaltig ist er nur als Rüstungsprodukt (siehe deutsche Bunker am Ärmelkanal)…
Abbrucharbeiten und Zerkleinerung sowie Einschmelzen der besagten Stahl“innereien“ verbraucht wiederholt fossile Energien, produziert Kohlenstoffdioxid und ist also nichts anderes als Augenwischerei im Sinne von Greenwashing einer anderen Branche als der Autoindustrie.
Heute, am 11.09.2024 ist die Carola-Brücke in Dresden eingestürzt. Ein Produkt eines damals (in den ausgehenden 60er Jahren) neuen (und bejubelten) Bauverfahrens. Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber die Aussagen der Praktiker und Wissenschaftler vor Ort, lassen einen Zusammenhang mit den Inhalten in obigen Kommentar zu. Es darf also weiter gewarnt werden vor allzu großem Vertrauen in die Versprechungen, wozu eine neue Technologie in der Lage wäre…
Den Dresdnern ist zu wünschen, dass sie den Brückeneinsturz gut verkraften und nicht mit den Ergebnissen der Landtagswahl 2024 in Verbindung bringen…