Wird Kompromissbereitschaft zunehmend durch Entweder-Oder-Konflikte ersetzt? Kolumne vom 04.04.2024
Jede dritte Amtsperson aus der Kommunalpolitik sagt laut einer Befragung, dass mündliche und schriftliche Anfeindungen, Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffe mittlerweile zum Berufsalltag gehören. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schlussfolgert aus dieser Erhebung schon seit Jahren fatale Folgen für die lokale Demokratie.
Denn wer will sich noch haupt- oder schon gar ehrenamtlich engagieren, wenn vor dem Wohnhaus Sprechchöre von Montagsdemonstranten „Volksverräter!“ skandieren? In Meiningen gab es den Spruch „Ein Baum, ein Strick, ein Töpfer-Genick!“ Der ehrenamtliche Vizebürgermeister Ulrich Töpfer, seit Jahrzehnten außerdem aktiv in der Kirchen- und Jugendarbeit seiner Heimatstadt, war schon zu DDR-Zeiten im Fadenkreuz der Staatssicherheit, ist also einiges gewohnt. Aber wie lange hält man das aus? Und welcher Amtsnachfolger will sich das zumuten?
In der vorigen Woche lud Marcus Lanz im ZDF an drei Abenden mal nicht die dort üblichen Gäste, sondern Leute von der kommunalpolitischen Basis ein. Ernüchternde Zustandsbeschreibungen mit Problemen überforderter, dabei unterfinanzierter Kommunen und Regionen waren zu hören – aber zugleich war doch immer noch Selbstbewußtsein statt Resignation, die Lust am Gestalten statt Entmutigung spürbar. Und dann der Satz des Oberbürgermeisters von Frankfurt/Oder: „Als Amtsträger muß man damit rechnen, auch mal Morddrohungen zu bekommen.“ Eine gewisse Gefährdungslage sei immer existent, sagte René Wilke, er bekomme Prügel angeboten und mache sich schon Gedanken, ob er für einen Termin in der Stadt aufs Fahrrad steigt.
Ähnliche Erfahrungen machte vor sechs Wochen auch ein Thüringer SPD-Politiker, der einen Brandanschlag darauf zurückführt, dass sein Name unter dem Aufruf zu einer Demonstration gegen Rechtsextremismus stand.
Der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer gilt seit Jahren als Fachmann für die Untersuchung „rechter Bedrohungsallianzen“. Er zieht Parallelen zu rechten Gruppen, die in den 90ger Jahren im öffentlichen Raum sogenannte national befreite Zonen erobern wollten. Dies habe heutiger politisch motivierter Gewaltbereitschaft den Boden bereitet. Wer das nicht mag, kann ja hinter der häuslichen Gardine bleiben – oder wegziehen. Doch die Einschüchterung politischer Gegner ist gewiß kein Privileg des Ostens. In Corona-Zeiten ging der Riss durch viele bundesdeutsche Gemeinden. In Rheinland-Pfälzischen Simmerthal wollte damals die Bürgermeisterin den wöchentlichen Aufzügen von Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten eine eigene Demonstration entgegensetzen. Als ihre Aufforderung zum Widerstand beim Gemeinderat auf taube Ohren stieß, weil ja jeder irgendwen kannte oder mit ihm verwandt war, der da mitmarschierte, blieb ihr nur der Rücktritt vom Amt als Antwort auf Schmierereien und ständig platte Reifen.
Heitmeyer beschrieb in der Süddeutschen Zeitung die gefährliche Situation in unserer Gesellschaft, weil sich der Modus zur Konfliktbearbeitung verschiebt, was bisher völlig unterschätzt werde. Mit dem Aufstieg der AfD zeige sich ein neuer Konflikttypus, weil die Orientierung auf einen Konsens ausbleibe. Kompromissbereitschaft werde ersetzt durch Entweder-Oder-Konflikte. Man suche keine Verständigung mehr mit dem Feind. Mit dieser gewaltanfälligen Logik würden auf die Dauer die Grundlagen der Demokratie zerstört. Ein bloßer Appell an die Zivilcourage scheint wohl nicht mehr zu genügen. Aber was dann?
Die Kolumne erscheint am 04.04.2024 in der Frankfurter Rundschau.