Von Georg Imdahl, FAZ, 28.2.2018
Eine Essener Retrospektive zeigt, dass für den nun achtzigjährigen Künstler Klaus Staeck gar nichts erledigt ist
Umstritten zu sein ist in der zeitgenössischen Kunst ein kostbares Gut. Kontroverse garantiert Aufmerksamkeit. Die gilt es in eigener Ökonomie zu erzielen und stabil zu halten. Wie lässt sich Öffentlichkeit herstellen? Das wollte gelernt sein für den Aktivisten. Die bohrende Frage eines jeden jungen Künstlers trieb auch Klaus Staeck in den sechziger Jahren um, als er noch Holzschnitte produzierte, dann zum Siebdruck überging und anfing, Bildern aus den Medien sarkastische Texte hinzuzufügen – wie einem apokalyptischen Schwarzweißfoto aus dem Dschungel die Erklärung „Vietnamesische Vegetation nach der Berührung mit US-Kultur“. Das war noch sperrig formuliert, es dauerte etwas, bis der 1938 in Pulsnitz bei Dresden geborene Staeck das Schlagwort, den Slogan, die zeittypische Phrase in eigene, bissige Rhetorik ummünzte.
Seinem Werk die nötige Publizität zu verschaffen gelang dem angehenden Politkünstler dann ganz plötzlich und auch für ihn selbst überraschend. Der Zufall half, der Erfolg war durchschlagend. Zum 500. Geburtstag von Albrecht Dürer 1971 hatte Staeck eine dadaistisch betitelte „Fromage à Dürer“ mit fünf Motiven in einer Edition von dreißig Exemplaren geschaffen. Ganze zwei Blätter fanden einen Käufer. So verfiel der Urheber auf die Idee, in Nürnberg eines der bekanntesten Werke des altdeutschen Meisters, die Zeichnung der knöchernen Mutter, dreihundert Mal auf Litfaßsäulen zu kleben: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ Dass in Dürers Geburtsstadt gerade der Maklerverband tagte, dessen Vertreter schon damals nicht im Ruf von Mietbremsern standen, war weder Staeck noch seinem Drucker, dem späteren Verleger Gerhard Steidl, bewusst gewesen. Da die Litfaßsäule noch den Charakter amtlicher Verlautbarung hatte, zeigte sich das Publikum angemessen irritiert, wenn nicht empört. Bei dem fränkischen Coup sollte es nicht bleiben.
Für die politische Ikonographie in Deutschland hat der Künstler Staeck einen titanischen Beitrag geleistet. Als ausgebildeter Jurist hat er wiederholt den Anspruch auf Meinungsfreiheit im Rechtsstaat getestet, mit der „Edition Staeck“ wiederum hat der Verleger das Multiple und damit eine nach den Maßstäben seiner Zeit demokratische Kunstform befördert. In allen Funktionen hat er den Streit und die richtige Kultur dafür gesucht, ohne sich in Rechthaberei zu ergehen.
Nachdem er in der DDR angeeckt und für eine Maurerlehre vorgesehen war, folgte er 1956 seinem Vater nach Düsseldorf. Dort musste er zuerst das Abitur noch einmal ablegen. 1960 trat er in die SPD ein, die ihn politisch sozialisierte, weshalb er sich mit den Achtundsechzigern nie identifizieren mochte. Anders als sein enger und langjähriger Freund Joseph Beuys favorisierte Staeck die repräsentative, keine direkte Demokratie.
Aus dem Geist bürgerlicher Aufklärung erwuchs denn auch Staecks bildmächtige, auf Attacke gepolte Sozialsatire, die er selbst als Hilfe für „unverschuldet Schwache gegen den Übermut der Starken“ bezeichnet hat. Dass er darüber nicht moralinsauer wurde, zeichnet sein Werk aus. In Plakaten für Greenpeace, Robin Wood und andere NGOs schreckte er nicht davor zurück, Name und Adresse zu nennen, wie 1988 in einer Kampagne gegen den Ozonkiller FCKW: „Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es“. Er rief dazu auf, die Chefs von Hoechst und Kali-Chemie höchstpersönlich telefonisch zu behelligen, und ließ sich das Recht dazu letztlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigen.
Jene insgesamt 41 Prozesse, die der unerschrockene Künstler erfolgreich überstand, lassen sich rückblickend bequem als Trophäen verbuchen. Doch dies übersieht den Einsatz der persönlichen und ökonomischen Existenz, den er leisten musste. Vom Ruin bedroht zu sein – diese Erfahrung hat Staeck kennengelernt. Nur ein einziges Mal hatte er juristisch klein beigeben müssen: „Die Reichen müssen noch reicher werden“ stand da in schwarzen Lettern auf weißem Grund. Den Aufruf „Wählt CDU“ konnte ihm ebenjene Partei per einstweiliger Verfügung untersagen, nicht aber den Ersatz „wählt christdemokratisch“. Es soll Ortsvereine gegeben haben, die diese Reklame für ihre Partei aus freien Stücken geklebt haben. Eine wahlkampfmotivierte Unterstellung, seine Sozis wollten Privateigentum verstaatlichen, motivierte Staeck 1972 zu seinem berühmtesten Plakat: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen.“ Brillant gestaltet, wurde es gedruckt, angefragt und immer wieder nachgedruckt – bis heute 75 000 Mal.
Dem künstlerischen Erfolg entsprachen nie hohe Verkaufserlöse; der Mann mit der randlosen Brille legte auch keinen Wert darauf, mit seiner Kunst das große Geld zu machen. Breitenwirksam und erschwinglich sollte sie sein, weshalb das Original, gar der Fetisch für ihn keine Option darstellte. Dafür ging er anfangs mit Editionen im VW-Bus Klinken putzen und konnte sich sicher sein: „Irgendwas kaufen die Sammler immer.“ Staeck wetterte gegen den Zweckverband der Rüstungsindustrie („Alle reden vom Frieden. Wir nicht“), gegen Franz Josef Strauß und die „Bild“-Zeitung, gegen Volkszählung, Ausbeutung, die Verschandelung der Umwelt. Kein Krisenthema hat sich Staeck häufiger vorgenommen als die Klimapolitik; so malte er sich 1981, im Zeichen der Globalisierung, die Vereidigung einer Weltregierung der Ölkonzerne aus. In der Plakatwelt des Documenta-Teilnehmers von 1982 hängt am Ende alles mit allem zusammen.
Während Kunstwerke heute aus unterschiedlichen Beweggründen von Museumswänden genommen werden (oder das zu befürchten steht), waren es zu Staecks besten Zeiten noch gestandene Politiker, die einen berühmt-berüchtigten „Bonner Bildersturm“ auslösten: Persönlichkeiten in Amt und Würden, die sich, wohl zu Recht, angesprochen fühlten und die Beherrschung verloren, was nun auf ewig an ihnen kleben bleiben wird. Wertschätzung erlangte Staeck zuletzt durch sein Wirken als Präsident der Berliner Akademie der Künste. Die hatte er bei seinem Amtsantritt 2006 im Chaos vorgefunden, bevor er sie in einen Ort öffentlicher Debatte verwandelte. Als persönliche Niederlage nennt Staeck den Zuspruch von dreißig Prozent für die AfD bei der letzten Landtagswahl in seiner Heimatstadt Bitterfeld – der ihn andererseits aber auch nicht resignieren lässt. „Nichts ist erledigt“, lautet sein Lebensmotto, es gilt auch am heutigen Mittwoch, da Klaus Staeck achtzig Jahre alt wird. GEORG IMDAHL
Klaus Staeck. Sand fürs Getriebe. Im Museum Folkwang, Essen; bis zum 8. April. Der Katalog im Steidl Verlag kostet 20 Euro.
Ein Gedanke zu „„Irgendwas kaufen die Sammler immer““