Die anschwellende Aufgeregtheit der Medien im Streit über den richtigen Umgang mit rechten Positionen nutzt vor allem denen, die solche haben. Die Kolumne vom 22.3.2018
Macht mal halblang – diese Empfehlung gab ich kürzlich einem Journalisten, der mich zum vermuteten Meinungskampf zwischen dem rechten und linken Lager der Intellektuellenzunft befragte. Anlass war ein in allen Feuilletons rauf und runter beschriebener Disput in Dresden, der zum Vorschein brachte, dass zwei Autoren zuweilen auch zwei ganz unterschiedliche Meinungen vertreten können. Das hat der danach eröffneten Leipziger Buchmesse übrigens weit weniger Schaden zugefügt als der Wintereinbruch und vereiste Weichen des stillgelegten Hauptbahnhofs, die es den Besuchern schwer machten, am Samstag das Messegelände am Stadtrand zu erreichen. Leipzig hat sein Bücher- und Lesefest trotzdem genießen können, auch wenn das Raunen vom Dichterstreit, vom tiefer werdenden intellektuellen Riss nicht mehr aus der Medienwelt zu schaffen war.
Der sogenannte „Wutbürger“ unter den beiden Dichtern beherrschte in den ersten Tagen das Aufmerksamkeitsterrain fast allein, ohne dass die zumindest mir vernünftiger erscheinenden Gegenargumente des Kontrahenten Erwähnung fanden. Dann wendete sich das Blatt. „Zeit“ und „Süddeutsche“ gaben diesem – so zählte es ein Cicero-Redakteur nach – 32.127 Druckzeichen, „um den Streit nach dem Streit für sich zu entscheiden“.
Wir wurden wieder einmal Zeugen einer anschwellenden „großen Gereiztheit“ in einer Empörungsinszenierung, die der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen inzwischen für einen „kommunikativen Normalfall öffentlicher Auseinander-setzung“ hält. Es geht nicht mehr um den Austausch von Argumenten mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns. Empörung über die Empörung der jeweils anderen Seite wird genutzt, um mediale Aufmerksamkeit zu finden. In Zeiten der digitalen Inflation von Meinungsmachern und Kommentarschreibern im Internet müssen die klassischen Redaktionen einiges aufbieten, um im Gespräch zu bleiben und am Kiosk oder online Käufer zu finden.
Am meisten kommt das alles denen zu gute, die als Alternative für Deutschland vor noch gar nicht langer Zeit in die politische Arena eingetreten sind, um den Laden mal so richtig aufzumischen. Ich halte die führenden Mitglieder dieser disparaten Gruppierung, der das gesunde Volksempfinden auf seine blau-roten Fahnen und Werbeplakate geschrieben hat, nicht gerade für intellektuelle Glanzlichter. Um so mehr genießen sie es, dass ein Autor mit der Geste des Opfers einer Gesinnungsdiktatur ihren Positionen nahekommt oder sogar deutlich vertritt. So geschehen jüngst in einem durchaus kritisch geführten Spiegel-Interview mit dem Philosophen und Schriftsteller Rüdiger Safranski, der als Biograf Goethes und Schillers, Nietzsches und Heideggers eine große Leserschaft begeistert und im Juni mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt wird. Safranski hält es für einen Fehler, „die AfD zu einer rechtsradikalen Partei zu machen“, da sie doch für das „Erwachen des konservativen Bewusstseins“ stehe. Er fordert auch dazu auf, wir sollten zur Vernunft kommen, „das inflationäre Geschwätz von Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie“ müsse aufhören.
Vor einigen Tagen hatte Steve Bannon, Trumps einstiger Chefstratege, auf seiner Europatour ein „faszinierendes Treffen mit AfD-Vertretern“. In Paris riet er noch den Leuten um Marine Le Pen, den Vorwurf des Rassismus und der Xenophobie als Ehrenzeichen zu tragen, denn (O-Ton Bannon) „die Geschichte ist auf unserer Seite, weil wir jeden Tag stärker, sie jeden Tag schwächer werden.“ Das ist schon etwas schärfer als unser Dichterstreit.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und unter dem Titel „Vorsicht, Empörungsindustrie!“ in der Frankfurter Rundschau.