Kolumne vom 29.11.2018
In 30 Jahren könnte alles vorbei sein. Gerade noch feierte sich Amazon für eine Billion Dollar Börsenwert und der Chef selbst bilanziert – nicht zuletzt dank europäischer Steuervermeidungspolitik – sein Privatvermögen auf über 120 Milliarden, da beschwört er schon den Untergang des Onlinehandel-Imperiums.
Die Botschaft lautet: Expansion um jeden Preis ist angesagt, wegbeißen, was im Wege steht, wer Schwäche zeigt, hat keine Überlebenschance.
Um den Giganten noch gigantischer erscheinen zu lassen, wird gerade ein mobiles Zahlungsmodell entwickelt, damit auch mit dem Amazon-Kundenkonto bezahlt werden kann. Und selbstverständlich soll auch das E-Quassel-System Alexa irgendwie zahlungstauglich werden und die Transaktionen auf Befehl ausführen.
Unfaire Bezahlung
Unter normalen Umständen müsste ein Unternehmen, das mehr Personendaten sammelt als jeder Geheimdienst, von der Politik an die Leine genommen werden, um dem Überwachungskonsum und dem damit drohenden permanenten Missbrauch von Persönlichkeitsrechten zu begegnen. Ich frage mich auch, warum nicht einmal Ansätze von Kartellrecht in Stellung gebracht wurden, bevor der Monopolist, flankiert von Google und Facebook, zur Weltmacht auf dem digitalen Markt mutierte.
Die Gewerkschaft Verdi setzt immer mal ein Streik-Zeichen, um daran zu erinnern, dass Mitarbeiter es verdienen, nach Tarifverträgen und nach Bedingungen des Einzel- und Versandhandels bezahlt zu werden, statt mit einer wesentlich niedrigeren Vergütung der Logistik-Branche. Auch die Überstunden, die dem Kaufrausch des letzten „Black Friday“ geschuldet waren, brachten den Mitarbeitern wesentlich weniger Geld ein, als ihnen in tarifgebundenen Unternehmen zugestanden hätte. All diese Forderungen, denen auch in Spanien, Frankreich und Großbritannien in der vergangenen Woche mit Streiks Nachdruck verliehen wurde, lassen die Konzernführung nicht am Selbstlob zweifeln, sich immer wieder das Zeugnis eines „fairen und verantwortungsvollen Arbeitgebers“ auszustellen.
Ein 1000-Milliarden-Konzern erhält Steuergeschenke
Unverschämtes Selbstbewusstsein hat das Bezos-Team auch in einem angeblichen Wettbewerb gezeigt, bei dem sich Kommunen in den USA um einen Standort für eine zweite Hauptverwaltung des in Seattle ansässigen Konzerns bewerben konnten. Das Versprechen, 50.000 Arbeitsplätze zu schaffen, mobilisierte ein Jahr lang mehr als 200 Bewerber. Von den zwanzig, die in die Endauswahl kamen, machten New York und ein Vorort von Washington das Rennen – also Regionen, nah bei den Machtzentren der USA. Amazon profitiert nun davon, dass alle Bewerber mit den Ankündigungen besonderer Steuervergünstigungen und weitreichender Finanzhilfen ihre Standorte besonders attraktiv erscheinen lassen wollten. Als Gegenreaktion hagelte es Proteste von Bürgern und Kommunalpolitikern, die dem reichsten Unternehmen des Landes den bevorstehenden Raub von mehr als einer Milliarde Dollar aus öffentlichen Mitteln vorwerfen – Geld, das nicht in Schulen, Verkehrsmittel und Wohnungsbau-Förderung investiert werden kann.
Noch ist Zeit bis zum Amazon-Bankrott. Denn der Online-Laden läuft so lange wie geschmiert, wie die Städte die größer werdende Zahl in der zweiten Reihe parkender Pakettransporter und die Logistik-Probleme sich vermehrender Pick-up-Stationen und Lagerflächen bewältigen können.
Die Kolumne erschien am 29.11.2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.