Ungarns Präsident Orban ändert die Regeln und ernennt Schiedsrichter. Demokratie ist nur noch Fassade.
Wieder mal ein Blick nach Ungarn, um nachzuschauen, wie es mit der illiberalen Demokratie Victor Orbans steht. Genau vor einem Monat lud er die Leiter von 18 staatlichen Kulturinstitutionen in seinen Amtssitz, das ehemalige Karmelitenkloster ein, um den „Nationalen Rat für die strategische Lenkung der Kultur“ zu gründen. Kolumne vom 18.3.2020
Man tritt dem Präsidenten nicht zu nahe, wenn man den einst christlichen Ort auf dem Burgberg, bei dessen Modernisierung die Denkmalschutzauflagen der Unesco locker gehandhabt wurden, als angemessene Location würdigt. Schließlich geht es der Regierung darum, die nationale Identität zu stärken, indem vor allem jene künstlerischen Bemühungen gefördert werden sollten, die sich zu christlichen und nationalen Traditionen bekennen.
Vorausgegangen war vor einem Vierteljahr die Verabschiedung eines Kulturgesetzes, dem die Abgeordneten der Opposition mit vorgehaltenen schwarzen Theatermasken die Zustimmung verweigerten. Sie haben sich den zahlreicher werdenden Kritikern angeschlossen, die vor der Tendenz warnen, unabhängige Kultur und autonome Kulturschaffende zu reglementieren und deren Arbeit zu behindern.
Vor allem freie Theater hatten bereits unter dem Entzug öffentlicher Subventionen zu leiden. Nun soll es auch die städtischen Theater treffen, die kaum noch über die kommunale Finanzierung den Spielbetrieb aufrechterhalten können.
Das Prinzip heißt Mischfinanzierung, und der Staat als beteiligter Geldgeber wird über die Besetzung der Intendantenposten mit ideologisch astreinen Gefolgsleuten miteintscheiden. So soll dann die „einheitliche Regierungsstrategie zur Lenkung der kulturellen Zweige“ flächendeckend gesichert werden.
Die Regierung zeigt immer offener ihre Instrumente, mit denen sie jegliche Opposition auszuschalten entschlossen ist. Das hat unter anderem mit den Kommunalwahl-Ergebnissen im Herbst zu tun, bei denen die Fidesz einige Bürgermeisterposten verloren hatte.
Von Eingriffen der Orban-Administration schwer gezeichnet ist auch die Freiheit der Wissenschaften, weil ein Umbau der nationalen Akademie eine große Zahl ihrer Institute fortan einem Gremium unterstellte, in dem nur die Fidesz das Sagen hat. Die Führung der traditionsreichen Corvinus-Universität für Wirtschaftswissenschaften geriet in die Hände eines mit Orban eng befreundeten Öl-Magnaten, an dessen Geschäften die Regierung beteiligt ist.
Die nunmehr privatisierte Uni wird wohl als zukünftige Kaderschmiede der Partei dienen. Wie all das mit den vielbeschworenen „europäischen Werten“ zu vereinbaren ist, fragt sich nicht nur die EU-Parlamentarierin Katarina Barley. Sie plädiert dafür, die zahlreichen Verstöße gegen die europäische Charta der Grundrechte – zum Beispiel Orbans Gesetz zur Gängelung nichtstaatlicher Organisationen – endlich schärfer zu ahnden. Man dürfe diesen Regimen keine Gelegenheit mehr geben, dass sie ihre Macht mittels Wohltaten sichern, die aus europäischen Fördermitteln stammen.
Bálint Magyar, ein Soziologe und früherer Bildungs- und Kulturminister, hat die ungarische Politik nach Orbans Amtsantritt mit einem Fußballspiel verglichen, in dem der Kapitän der einen Mannschaft nach Belieben die Regeln ändern, die Schiedsrichter ernennen und sogar die gegnerischen Spieler vom Platz verweisen kann. Inzwischen geht Magyar weiter und bezeichnet Ungarn als einen Mafia-Staat, der für seine Straffreiheit kämpft. Die demokratische Fassade werde nur noch formal aufrechterhalten.
Die Kolumne erschien am 19.03.2020 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.