Kolumne vom 8.7.2021
Es war zu erwarten, dass auch der Wahlkampf vom Coronavirus nicht verschont bleiben würde. Erstaunlich ist aber die Vehemenz, mit der sich innerhalb eines Jahres eine auf mehr 20.000 Mitglieder gewachsene Partei mit bundesweiten Landesverbänden installieren konnte, deren Hauptthema schlicht lautet: „Die Impfkampagne muss sofort beendet werden!“
Sie nennt sich „dieBasis“ und rekrutiert sich zu einem nicht geringen Teil aus Aktivisten und Anhängern der Querdenker-Bewegung. Aber es sind auch Wissenschaftler darunter, ein Oberregierungsrat aus dem Bundes-Innenministerium, ein einst prominenter ARD-Talkshow-Moderator, Rechtsanwälte, Alternativmediziner und Heilpraktiker. In einer Recherche von netzpolitik.org wird die Esslinger Sozialwissenschaftlerin Claudia Barth zitiert, die der Basis-Partei eine gewisse Offenheit zum rechten Rand der Gesellschaft und eine sehr große Nähe zur AfD und ihren Positionen konzidiert. Schlagworte wie Frieden und Freiheit, fungierten als Oberflächenbotschaften. Sie klingen gut, unterstellen dabei jedoch, dass es beides in Deutschland gerade nicht gebe.
Mit rechts und links will dieBasis nichts zu tun haben, denn sie ist offen für alle – man darf sogar seine Mitgliedschaft in einer der „Altparteien“ behalten.
Wirft man einen Blick auf die Kandidaten zur Bundestagswahl, dann fällt zunächst das „Expertenteam“ auf. In NRW ließen sich die Biochemikerin Karina Reiß und der Epidemiologe Sucharit Bhakdi aufstellen, deren gemeinsam verfasstem Pamphlet „Corona Fehlalarm?“ mehrere medizinische Fakultäten zumindest „mangelnde wissenschaftliche Sorgfalt“ bescheinigten. Ein weiterer Kandidat ist uns aus dem Querdenker-Umfeld nicht unbekannt: Reiner Fuellmich. Der auch in Kalifornien praktizierenden Rechtsanwalt sammelt seit Monaten von gutgläubigen Verirrten per Rundmail viel Geld für eine Sammelklage ein, die er gegen den Virologen Christian Drosten und den Präsidenten des Robert Koch Instituts Lothar Wieler in den USA vor Gericht bringen will. Die Aussicht der Mandanten auf Schadenersatz ist gering, denn seit Monaten warten sie mit wachsender Ungeduld, dass die Klage eingereicht wird. Inzwischen füllt sich die Kasse des Anwaltsbüros.
Wie Fuellmich kandidiert in Sachsen Anhalt Stephan Kohn für den Bundestag. Er war damit aufgefallen, auf dem amtlichen Briefpapier des BMI seine Privatmeinung zur Pandemie-Politik an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Weil er sich dabei auf Experten wie Bhakdi berief, die Fakten mit Spekulation und Falschinformationen vermischten, fand er bei seinem Dienstherren wenig Gnade.
Inzwischen kursiert in der „Basis“ die Idee eines „neuen Nürnberger Prozesses“ u.a. gegen die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Weltwirtschaftsforum, die wegen „Verbrechen gegen die Menschheit “ angeklagt werden sollen. In Anspielung an die Kriegsverbrecherprozesse soll es wie beim Nürnberger Ärzteprozess von 1947 um „medizinische Versuche an Menschen“ gehen. Das ist eine obzön perfide Gleichsetzung des Kampfes von Virologen und Epidemiologen um wirksame Imfstoffe gegen die Pandemie mit den Verbrechen von Ärzten in den Vernichtungslagern. Unfassbar, dass eine Dresdener Stadtschreiberin, eine renommierte Autorin, inzwischen Mitglied der Partei „dieBasis“, die Coronaimpfung mit Bezug zum Nürnberger Kodex einen „großangelegten Menschenversuch“ nennt. Offenbar hat die Pandemie auch die Massstäbe verantwortungsbewußten Denkens und Schreibens ins Wanken gebracht.
Die Kolumne erschien am 8.7.2021 in der Frankfurter Rundschau.