Kolumne Dezember 2008
Stell’ Dir vor die Krise ist da und die Politiker schauen tatenlos zu. Zum Glück ist das derzeit nicht der Fall. Aber es gibt Intellektuelle, die dennoch zu dieser abenteuerlichen Taktik raten. So wurde an dieser Stelle hier vor kurzem allen Ernstes empfohlen: „Die Politik muss den Dingen ihren Lauf lassen und darauf vertrauen, dass alles wieder ins Gleichgewicht kommt“. Frei nach dem neoliberalen Credo: Der freie Markt wird es schon wieder richten. Was dieser angerichtet hat, offenbaren täglich neue Horrormeldungen. Zerstörtes Vertrauen ist in vielen Varianten jetzt zu besichtigen.
Mag man einzelne staatliche Rettungsmaßnahmen auch noch so kritisieren. Inzwischen geht es nicht mehr nur um die möglichst rasche Erholung der Wirtschaft, sondern im Kern um Demokratie und Solidarität. Lässt man „die Dinge“ tatsächlich einfach laufen, läuft die Politik erneut Gefahr, sich von Bankrotteuren, Deregulierern und Privatisierern mit staatlicher Unterstützung über den Tisch ziehen zu lassen. Die Turbokapitalisten scheren sich nicht um sichere Arbeitsplätze, gerechte Löhne und Mitsprache. Für sie zählen wie eh und je Riesen-Renditen und astronomische Abfindungen, auch bei offensichtlichem Versagen. Jetzt müssen die Volksvertreter zeigen, dass sie nicht nur zuschauen, sondern auch agieren können. Sonst sinkt das Vertrauen in die Politik immer weiter in den Keller.
Schlimm genug, dass sich laut einer aktuellen Studie nur 37 Prozent der deutschen Studenten für Politik interessieren. Dabei bedeutet Interesse noch lange nicht Engagement. 1983 war es noch über die Hälfte der angehenden Akademiker. So resigniert und teilnahmslos wie heute war die einst so unruhige Studentenschaft noch nie. Zu beobachten ist die Lethargie schon seit langem. Der Asta fristet an vielen Universitäten ein Schattendasein und macht nur noch von sich reden, wenn Mensapreise und Studiengebühren erhöht werden sollen. Kein Wunder, dass nicht nur die Parteien über Nachwuchsmangel klagen, selbst Greenpeace und Amnesty International haben Probleme. Die rastlosen Aufklärer von Attac können das Ruder jedenfalls nicht allein herumreißen.
Es mag auch an den verkrusteten Strukturen der etablierten Organisationen liegen, dass viele Studenten glauben, politische Entscheidungen nicht beeinflussen zu können. Meist liegt es aber an den jungen Leuten selbst, die soziale Verantwortung und politische Arbeit scheuen. Lieber loggen sie sich in die Blogosphäre ein, wo sie als „bubu“ oder „Grünschnabel“ über die Missstände in dieser Welt herziehen. Anonym und unverbindlich, aber ausgestattet mit der stetig steigenden Meinungsmacht des Bloggers.
Wer politisch mitreden und etwas bewegen will, muss aus der virtuellen Deckung kommen. Sonst macht er sich die Sache zu einfach und denen, die ohne digitales Visier in aller Öffentlichkeit kämpfen, doppelt schwer. Man kann nicht Politik und Politiker für Alles und Jedes verantwortlich machen und sich selbst vor der Verantwortung drücken. Der Zeitpunkt sich zu engagieren, etwas langfristig und grundlegend zu verändern, ist so günstig wie lange nicht. Wer dagegen „die Dinge“ aus Gleichgültigkeit oder Besserwisserei schleifen lässt und das politische Handeln des Staates für überflüssig oder ineffektiv erklärt, macht sich an den absehbar katastrophalen Folgen mitschuldig, handelt jedenfalls grob fahrlässig. Das Primat der Politik und die Verantwortung jedes Einzelnen sind gefragt. Jetzt und nicht irgendwann.