Die dunkle Seite

Kolumne August 2009

60 Jahre – 60 Jahre Erinnerung: Eine Begebenheit werde ich wohl nie vergessen. Als in den 50er Jahren mein Heidelberger Ortsvereinsvorsitzender mit Tränen in den Augen einmal erzählte, dass er als jüdischer Sozialdemokrat nach seiner Rückkehr aus dem KZ seine Wiedereinbürgerung bei demselben Beamten beantragen musste, der ihn zu Beginn der NS-Zeit ausgebürgert hatte.

In der Zwischenzeit hatte die große Mehrheit der braven Heidelberger auch ihren Nazi-Bürgermeister ganz demokratisch wiedergewählt. Zur gleichen Zeit pilgerten einige Professoren, Assistenten und Studenten zu Carl Schmitt und huldigten Ernst Jünger. Während sich das Interesse für Schmitt („Der Führer spricht das Recht“) inzwischen abgeschwächt hat, hält die Jünger-Verehrung bis heute unvermindert an. Wie überhaupt das Antidemokratische unter einigen Intellektuellen nicht nur eine exotische Randerscheinung ist. 

Fast alle meine juristischen Professoren an der Heidelberger Universität waren stramme, nun gewendete Nazis, denen kein Haar gekrümmt wurde. Wie überhaupt keiner der Blutrichter, die Todesurteile am Fließband ausgestellt hatten, je zur Verantwortung gezogen wurde. Der Gipfel der Unverfrorenheit war die postume Beförderung Roland Freißlers im Bayrischen, um seiner Witwe zu einer noch höheren Pension zu verhelfen. Dabei hätte eine Jahrespension all dieser schrecklichen Juristen gereicht, um den Zwangsarbeitern wenigstens früh zu einer symbolischen Anerkennung ihres Leids zu verhelfen. Viele Gestapo-Leute fanden übrigens schnell ein neues Einkommen in der Organisation Gehlen.

Da ist aber auch Konrad Adenauer, auf den sich bis heute viele als politischen Ahnherrn berufen, der einen Hans Globke zum Leiter seines Bundeskanzleramtes machte. Globke, der den regierungsamtlichen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen schrieb. Jene Gesetze, die Juden in Deutschland auch juristisch zu Freiwild erklärten. Adenauer, der mit seiner forcierten Westintegration die Teilung Deutschlands zementierte. Allen verlogenen offiziellen 17. Juni-Reden zum Trotz. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der westdeutsche Staat hat jedenfalls die politischen Emigranten nie zur Rückkehr eingeladen. Im Gegenteil. Die Angehörigen  der Widerstandskämpfer wurden auch im neuen Deutschland als Verräter geächtet. Das NSDAP-Mitglied Kiesinger konnte zum Bundeskanzler aufsteigen, der „furchtbare Jurist“ Filbinger zum langjährigen Ministerpräsidenten. Bei dessen Beerdigung wurde er vom Nachfolger Oettinger sogar dreist zum Widerstandskämpfer umgetauft.

So gibt es heute noch Schulen, die Namen von NSDAP-Mitgliedern, SA-Männern und Kriegsverbrechern tragen. Von den Kasernen wurden inzwischen einige umbenannt. Dafür gibt es aber noch genügend Hindenburg-Straßen, erinnernd an den greisen Militär, der dem befrackten Hitler am Tag von Potsdam zu einem demokratischen Anstrich verhalf.

Doch, es tut sich was im demokratischen Deutschland. 64 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur will der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode nun endlich die NS-Urteile gegen sogenannte „Kriegsverräter“ aufheben. Die Urteile gegen Deserteure wurden immerhin schon 2002 für unrechtmäßig erklärt. All das erinnernd und bedenkend, ist im 60sten Jahr dennoch eine relativ stabile Demokratie zu feiern auch wenn sie durch die von gierigen Bankern und marktgläubigen Politikern ausgelöste gesellschaftliche Krise ihre größte Bewährungsprobe noch vor sich hat.

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