Wo ist Ai Weiwei?

Kolumne Mai 2011

Noch immer kein Lebenszeichen von dem chinesischen Künstler Ai Weiwei, der zu den mutigsten Kritikern seines Landes zählt. Seit seiner Verhaftung am 3.April gilt er als verschwunden. Ein Zustand, der unter zivilisierten Staaten durch nichts zu rechtfertigen ist. Kein Wunder, dass die Vermutungen über Auseinandersetzungen innerhalb des nervös gewordenen chinesischen Machtapparates immer neue Nahrung finden.

Diesen internen Machtkämpfen sei Ai Weiwei, und nicht nur er, möglicherweise zum Opfer gefallen. Jedenfalls ist der Künstler in größter Gefahr. Wer ihn erlebt hat und seine stets aufs Neue öffentlich geäußerte Kritik kennt, der kann davon ausgehen, dass er sich auf keinen faulen Deal einlassen wird.

Derzeit ist viel die Rede von einem anderen Kulturverständnis der Chinesen und welche Bedeutung die Wahrung des Gesichts habe. Neue Erkenntnisse sind das nicht. Aber haben denn die Chinesen nur einen Augenblick daran gedacht, dass auch die Deutschen ein Gesicht haben könnten, als die Sicherheitsbehörden den Künstler mit einer Provokation ohnegleichen unmittelbar nach der Eröffnung der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ entführen ließen?

Ai Weiwei ist im besten Sinne ein Aufklärer und damit auch ein Störer der realen Verhältnisse. Einer, der es immer wieder geschafft hat, mit der Kraft seiner Kunst auf Missstände und Defizite aufmerksam zu machen, die im Dunkeln bleiben sollen. Kunst und Leben sind für ihn eine Einheit. Das macht ihn so gefährlich.

Die chinesische Regierung spielt ganz offensichtlich auf Zeit und vertraut auf den berechenbaren Mechanismus unseres Medienbetriebes, in dem das baldige Vergessen fest programmiert ist. Doch sprechen einige Anzeichen dafür, dass es diesmal anders ist. In keinem mir bekannten vergleichbaren Fall ist vor allem auch aus der Kunstszene so viel Aufmerksamkeit für die Freilassung unseres Kollegen geschaffen worden. Und das sofort nach Bekanntwerden seiner Verhaftung.

 Amnesty veranstaltete eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. Es gab Sitzblockaden vor der chinesischen Botschaft. Alle Formen des öffentlichen Protestes werden genutzt. Es gibt den internationalen Guggenheim- und den Berliner Appell, von Hunderten unterzeichnet. Auf einer der großen Veranstaltungen für Ai Weiwei in der Berliner Akademie der Künste fand der Kulturstaatsminister Worte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Diese Akademie hat den Künstler gerade zu ihrem Mitglied gewählt, während ihm die Universität der Künste kürzlich eine Gastprofessur angeboten hat. Gerade dieses institutionelle Engagement garantiert, dass die Kritiker der Polizeiaktion keine Ruhe geben werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen die wiederholten Klagen des letzten documenta-Leiters über die „enorme Passivität“ der Kunstwelt reichlich rätselhaft, jedenfalls kontraproduktiv.

Deutschland zählt China zu seinen wichtigsten Handelspartnern und umgekehrt. Während des Autosalons in Shanghai schwelgten die großen deutschen Autokonzerne in zweistelligen Zuwachsraten. Die deutschen und chinesischen Kapitalisten verstehen sich also prächtig. Ist es nur naiv, sich vorzustellen, dass auf dieser Ebene das Kidnapping wenigstens einmal angesprochen wird, auch wenn der Mehrheit der Deutschen Arbeitsplätze allemal näher stehen, als alle Freiheitsschwüre, mit denen wir die übrige Welt so gern beglücken?

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