Von Zossen lernen

Kolumne 27. September 2011

Warum Monaco oder Singapur? Zossen liegt viel näher, um die Erträge Ihrer Firma auf dem Wege legaler innerdeutscher Steuerflucht zu steigern. 

Stellen Sie sich Zossen wie Noderfriedrichskoog vor. Dort gab es um die Jahrtausendwende eine wundersame Vermehrung ortsansässiger Gesellschaften, Finanzdienstleister und Leasingfirmen. Mehr als 500 Unternehmen zog es in die mäßig besiedelte Gemeinde am Wattenmeer, weil unter Rot-Grün ein Gesetz entstanden war, das regelrecht dazu einlud, die Heimat zu verlassen, um unter günstigster Anrechnung der Gewerbe- auf die Einkommenssteuer einen Ort zu suchen, der einen „kommunalen Hebesatz“ von sage und schreibe 0% versprach. 

Nun hat das Bundesverfassungsgericht zwar inzwischen diese kaum zu unterbietende Null untersagt und einen Mindesthebesatz von 200 % festgelegt – doch damit kann Norderfriedrichskoog als deutsche Gewerbesteueroase immer noch gut leben. Auf jeden Einwohner kommen 10 ansässige Firmen. 

Irgendwann hat wohl ein Zossener oder eine Zossenerin von dieser sprudelnden Einnahmequelle erfahren, und so kommt es, dass man sich wenige Kilometer südlich von Berlin wie an der Nordseeküste fühlt. Man kann es auch lokale Wirtschaftsförderung nennen, was die reich gewordene Kleinstadt betreibt, in der die Hersteller von Firmenschildern für Hausbriefkästen eine gute Auftragslage verbuchen dürften.
Natürlich gebe es für jedes Schild ein Büro, versicherte kürzlich die Bürgermeisterin einem Journalisten, und wer wolle etwas gegen Bürogemeinschaften sagen? 

Sie ist schon clever, die gerade wiedergewählte Bürgermeisterin, die Kandidatin der „Wählergruppierung Plan B“, an der sich die lokale Opposition aller Parteien, außer der CDU, seit geraumer Zeit die Zähne ausbeißt. Erfolg macht immun – auch gegen angeblich 40 Fälle von Dienstvergehen und den Vorwurf einer jeder kommunalen Demokratie hohnsprechenden Alleinherrschaft. Deshalb hat es übrigens der Zossener „Verein Haus der Demokratie“ entsprechend schwer, für das im Winter 2010 von Rechten abgefackelte Vereinshaus endlich ein eigenständiges Äquivalent zu erhalten. Immobilien sind in Zossen besonders kostbar, nicht zuletzt weil man ja so viele Bürogemeinschaften darin unterbringen kann und die Bürgermeisterin deshalb ungern ein leerstehendes Haus den vereinten Demokraten allein überlassen möchte. 

Was könnten wir daraus lernen? Zossen will uns ein Beispiel geben. Die bisher üblichen Verfahren, über Parteienvertreter Bürgermeister und Gemeinderäte zu wählen, haben sich überlebt. Da es zwecklos ist, zur Solidarität zwischen deutschen Städten und Gemeinden aufzurufen, sie sollten sich die Steuern zahlenden Unternehmen nicht gegenseitig mit Dumpingstrategien abjagen, sieht jeder zu, wo er bleibt. Wer am meisten Glück hat beim Einfangen der Steuersparer, kann seinen Bürgern was bieten und wird – logisch – wiedergewählt. 

Wir erinnern uns daran, Irland hat mit phantastisch niedrigen Umsatzsteuersätzen ausländische Unternehmen ins Land gelockt – um am Ende zur Gefahr für das Eurosystem zu werden. Griechenland verzichtete darauf, seine Millionäre zu belästigen und 32 Milliarden offene Steuerschulden einzutreiben – das Resultat sorgt täglich für neue Schreckensmeldungen über die Zukunft unseres Währungssystems. In Zossen geht zum Glück alles seinen Gang, auch wenn einige Bürger immer noch Vorbehalte haben und sogar von „Filz“ und „Polit-Sumpf“ reden, wenn ein Wiesenstück über Nacht als Bauland eine plötzliche Wertsteigerung erfährt.

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