Kolumne vom 21. September 2017
Als ginge es um den Start einer Rakete werden allseits die Tage gezählt. Nun sind es nur noch drei bis zum Ansturm auf die Wahllokale, der hoffentlich auch erfolgt. Das scheint gar nicht so selbstverständlich, wenn man den ewigen Experten glauben will, die uns unisono seit Wochen erklären, dass dieser Wahlkampf bisher jedenfalls überaus langweilig verlaufe, von gelegentlichen Eierwürfen und Pfeifkonzerten einmal abgesehen.
Wäre dem wirklich so, könnte man ja nach Gründen fragen. Ich sehe mich als Teil jener Zivilgesellschaft, die ständig als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie beschworen wird. Also mische ich mich ein als Bürger, dem es keineswegs egal ist, wer uns die nächsten vier Jahre wie regiert, ob mit dem ewigen Weiter-So der Kanzlerin die drängenden Zukunftsaufgaben weiter auf die lange Bank geschoben werden. Und da man in der Demokratie alleine nicht allzu weit kommt, habe ich mit anderen zusammen eine Wählerinitiative gegründet, die für die Wahl des Kandidaten der anderen großen Volkspartei eintritt mit eigenen Forderungen und Erwartungen. Kritische Begleitung nennt man so etwas.
Wir engagieren uns für eine andere Politik. Für all die Themen, die im „Duell“ Merkel/Schulz von den Befragern bewusst ausgelassen worden waren. Zwar wurde über Flüchtlinge schwadroniert, aber ohne Hinweis darauf, dass sich die Union hartnäckig vor einem Einwanderungsgesetz drückt. Klimawandel als eine der Fluchtursachen, Fehlanzeige. Keine Rede von der unzulänglichen Digitalisierung als Jobmotor und Jobkiller. Dass Wohlstand und globale Wettbewerbsfähigkeit nur durch Förderung von Bildung zu sichern sind, globale Konzerne bis heute keine Steuern zahlen, kein Thema. Wie steht es um die Forderung Trumps, unsere Militärausgaben ohne erkennbare Not um viele Milliarden zu erhöhen?
Kein Wunder, dass in Anbetracht des an Demokratieverweigerung grenzenden Beschweigens all der realen Probleme „Ich sage nichts, aber das mit Nachdruck“, ein erheblicher Teil der Wähler noch nicht weiß, ob und wen er wählen wird. Noch längst ist nicht alles entschieden, wie uns die an Terror grenzenden Umfragebombardements jener Meinungsforscher weismachen wollen, die mit ihren waghalsigen Prognosen nicht nur einmal voll daneben lagen. Zur Erinnerung: Im Vertrauen auf diese Propheten des Ungefähren hatte Theresa May in GB Neuwahlen angesetzt und sie prompt verloren.
Als eine Art Ersatzhandlung wird privat und in den Medien das alte Wer-mit-wem-Spiel variantenreich zelebriert. Dieses Ablenkungsmanöver hat mich schon in den Gesprächen anlässlich der Geburtstagsfeiern meiner Oma gelangweilt. Noch beliebter sind die Spekulationen um das Abschneiden der zwischen völkischem und rechtsradikalem Denken und Handeln changierenden Truppe um Weidel, Storch und Gauland, die sich frech als Alternative für Deutschland anbietet. Sollte diese Gruppierung eine Agentur angeheuert haben, um die teutsche Maid und den teutschen Mann mit ihren kruden Ideen vertraut zu machen, es wäre hinausgeworfenes Geld. Denn jede ihrer noch so abwegigen Äußerung wurde medial in einem Übermaß versendet, dass man neidisch werden könnte.
Mag ja sein, dass der Feinstaub zwischen den Fingern der Dauerraute die politischen Sinne so mancher Wahlbeobachter vernebelt hat. In den zahllosen Gesprächen mit den mehr als 1200 Unterzeichnern unseres Wahlaufrufs bot sich jedenfalls ein ganz anderes Bild, war von Langeweile nichts zu spüren. Schließlich ist Unentschiedenheit per se kein Desinteresse.
Die Kolumne erschien am 21.9.2017 zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau