Das Unternehmen Amazon funktioniert nur, weil es einen Komplizen hat: den Kunden. Kolumne vom 28.12.2017
Jeff Bezos ist nicht zu beneiden. Er ist dank des überwältigenden Amazon-Erfolgs 100 Milliarden Dollar vermögensschwer und hat damit Microsoft-Grüner Bill Gates hinter sich gelassen. Aber wie geht es weiter? Wie kann der Datenkonzern mit angeschlossenem Warenlager noch Wachstum generieren? Das Schlimmste wäre, wenn die Ideen ausgingen, wenn die Aktie von Amazon dem Marktwert von 500 Milliarden Dollar nicht mehr gerecht wird.
Aber der frühere Internetbuchhändler Bezos kann sich bequem zurücklehnen. Der Laden läuft und läuft… Was man von den realen Läden in den Einkaufspassagen deutscher Städte nicht mehr sagen kann. Bis 2020 wird bereits die Schließung von einem Drittel aller Filialen prophezeit, in denen noch ein Kunde das Geschäft betreten kann. Selbstständige Fachhändler in der Modebranche haben in zwei Jahrzehnten zu 50 Prozent aufgeben müssen, jedes Jahr verschwinden 150 Buchläden. Der anschwellende Kaufrausch im E-Commerce trifft vor allem den Mittelstand, aber auch Kaufhäuser bleiben nicht verschont.
Der nächste Innovationsschritt erreicht mit dem Lieferservice Amazon-Fresh den Lebensmittelhandel. Im Großraum der Millionenstädte wird damit gerechnet, dass sich in den nächsten zehn Jahren der Umsatz verzehnfacht.
Das alles funktioniert, weil Amazon einen Komplizen hat. Es ist der Kunde, der sich über die leeren Schaufenster geschlossener Läden in den Fußgängerzonen und über die unfähigen Kommunalpolitiker, die das nicht verhindert haben, aufregt. Der Kunde, der sich am Computer oder Smartphone jeden Wunsch von den Lippen ablesen lässt und bereitwillig die Datenkraken mit Informationen speist. Der Kunde, der gar nicht mehr merkt, wie aus der Bequemlichkeit täglicher Onlinebestellungen ein Suchtverhalten wächst.
Kürzlich hat ein Team des ZDF versucht, in der deutschen Amazon-Zentrale Auskünfte über Steuerzahlungen einzuholen. Schließlich wird hierzulande der größte Umsatz in Europa erzielt. Die Antwort blieb – wie zu erwarten – aus.
Schade, dass man nicht wenigstens das Gelächter aus der Chefetage aufzeichnen konnte. Die Steuertricks zur Gewinnverkürzung über Kostenaufteilungsverfahren zwischen Mutterfirma, Töchtern und Briefkastenadressen sind legendär und haben sogar die Brüsseler Kommission wach werden lassen.
Im Ergebnis konnte sich immerhin das italienische Finanzministerium über 100 Millionen ausstehende Steuernachzahlungen freuen. Im Gegensatz zu Luxemburg, dort klagt man sogar gegen einen EU-Beschluss, nach dem das Land Nachzahlungen von Amazon fordern soll. So kommt fast der Verdacht auf, dass Luxemburg an einem Deal ohne Steuern besser verdient als an einem für alle europäischen Partner transparenten Geschäft.
Vielleicht sollte man wegen der Steuertricks mal Alexa fragen. Alexa ist das von Amazon entwickelte Aufzeichnungsgerät „Echo“, das auf Stichworte reagiert und die Lieblingsmusik abspielen sowie den Wetterbericht vorlesen kann. Es kann sich auch unbeabsichtigt einschalten, Gespräche aufzeichnen und wesentliche Informationen über Privates oder gar Intimes an irgendeine Zentrale übermitteln.
Datenschützer, die Fragen an die Wanze Alexa und ihre Betreiber haben, stehen vor verschlossenen Türen. Denn Amazon Deutschland ist nur eine Luxemburger Filiale. Orwell 4.0.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.