Kolumne Mai 2008
Die alten Griechen hatten es noch gut. Wenn sie einen Gesprächspartner suchten, gingen sie einfach vor die Tür. Mitten in der Stadt fand sich schnell jemand, wurden gemeinsame Angelegenheiten verhandelt und politische Reden gehalten. Vom antiken Vorbild der Agora und Polis sind die heutigen Städte nicht nur architektonisch, sondern auch der Idee nach Jahrtausende entfernt.
Heute hetzen die Städter durch die von Shopping Malls zerrissenen Citys. Kleben mit ihren Blicken an den Schaufenstern oder hasten mit vollen Einkaufstaschen blind aneinander vorbei. Kein Raum, keine Zeit und keine Motivation mehr für lebendige Diskussionen und unmittelbare Begegnungen.
Dabei steigert die Anonymität der Städte das Bedürfnis der Menschen sich auszutauschen. Befriedigt wird es jedoch zunehmend durch passiv genossene TV-Talks oder geschwätzige Internet-Blogs. Und wem es dort zu langweilig wird, der flüchtet sich mit wenigen Mausklicks einfach in virtuelle Parallelwelten, um sein schönes neues „Second Life“ am Flachbildschirm zu führen. Ein Paradies für Individualisten, aber ein Alptraum für demokratische und plurale Gesellschaften, die vom offenen Meinungsaustausch und der freien Nutzung des öffentlichen Raums leben.
Und genau der wird den Bürgern immer weiter verbaut und einigen sogar strikt verwehrt. Charakteristische Stadtlandschaften haben sich in gleichförmige Einkaufsghettos verwandelt, weil an jeder Ecke neue Douglas-, Tchibo- oder H&M-Filialen das „moderne“ Stadtbild prägen. Allein zwischen 1990 und 2006 ist die Zahl der Einkaufszentren in Deutschland von 93 auf 372 angewachsen. Tendenz weiter steigend. Bald wird man nicht mehr wissen, an welchem Ort in Deutschland man sich eigentlich gerade befindet und ob man sich dort überhaupt noch ungehindert bewegen darf. Zu den privat bewirtschafteten Passagen, Parks und Plätzen haben zumindest Bettler, Punks und Obdachlose längst keinen Zutritt mehr. Dafür sorgen private Sicherheitsdienste und versteckte Kameras, mit denen nicht zu spaßen ist. Alexander Mitscherlichs These von der „Unwirtlichkeit der Städte“ hat nichts von seiner Bedeutung verloren.
Was uns die zu „City-Managern“ geadelten Stadtplaner als moderne Urbanisierung verkaufen wollen, ist nichts anderes als eine kommerziell verwertbare Kulisse für finanzstarke Investoren. Hinter der restaurierten Fassade des Braunschweiger Stadtschlosses hat sich neben der konfektionierten Handelskette zugleich die kommunikative Einöde breit gemacht. Und der Ausverkauf des öffentlichen Raums läuft allerorts munter weiter. Angeheizt von finanzschwachen Kommunen, die ihre Straßen für Cityläufe oder als Laufstege an den Meistbietenden vermieten und rot-weiße Absperrbänder wehen lassen. Für Otto Normalverbraucher wird es aber nicht nur draußen eng. Bis 2011 will das ehemalige Staatsunternehmen Deutsche Post 700 Filialen dicht machen und an „private Partner“ wie Supermärkte und Kioske abgeben. Als ob es sich zwischen Bierdosen und Schokoriegeln je so plaudern ließe wie im Postamt, in dem viele nicht nur ihre Päckchen, sondern auch Erlebtes loswerden wollen.
Weder Webchat noch City-Center vermögen die intensive Begegnung im öffentlichen, nicht kommerzialisierten Raum zu ersetzen. Wenn uns am Ende nur noch die eigenen vier Wände und der Vorgarten bleiben, dann ist nicht nur unser persönlicher Freiraum, sondern auch unser politischer Horizont eingeschränkt. Wenn es mit Freiheit und Demokratie klappen soll, muss die Devise künftig lauten: Platz da.