Kolumne Januar 2010
Deutschland steckt in der tiefsten Rezession seit 1932 und die Discounter soll sie angeblich besonders hart getroffen haben. Umsatzeinbußen von sage und schreibe einem Prozent haben Aldi, Lidl und Co. nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung im Krisenjahr 2009 verkraften müssen. Bei den Riesengewinnen kommen da schon einige Millionen Verlust zusammen. Krise hin oder Krise her. Die Herren Multimilliardäre wussten schon immer Kasse zu machen. Mit Dumpinglöhnen und Dauerniedrigpreisen lebt es sich für die besser verdienenden Verbraucher und gierigen Einzelhandelskönige sehr angenehm. Unangenehm ist es vor allem für viele schamlos ausgebeutete Mitarbeiter. Und das nicht erst seit dem Leiharbeiterskandal bei Schlecker. Das ganze System ist faul.
Wenn die mediale Aufregung wieder verpufft und der politische Aktionismus versandet ist, gehen Männer wie Anton Schlecker oder die Gebrüder Albrecht wieder zur Tagesordnung über. Der Alltag ist für ihre Angestellten und Zulieferer schon seit Jahren ziemlich rau. Noch immer gehören Betriebsräte in den Discountern zur absoluten Mangelware, während die Zahl der schlecht bezahlten und arbeitsrechtlich vogelfreien Beschäftigten ständig steigt. Der Öffentlichkeit ist kaum mehr präsent, dass Lidl noch vor nicht allzu langer Zeit seine Mitarbeiter bespitzeln ließ und ihren Gesundheitszustand protokollierte, um sie bei Leistungsabfall unter Druck setzen zu können. Dass die Pausen- und Urlaubszeiten der Verkäufer, Fahrer und Lageristen ebenso knapp bemessen sind wie ihre Löhne, verdrängt der sparsüchtige Konsument im Alltag allzu gerne. Bei „Lidl lohnt sich’s“ eben. Nur nicht für die Mitarbeiter. Und beim Textilverramscher KiK birgt der Name selbst schon das Programm: Der „Kunde ist König“, der Kassierer ist Knecht.
Mit der Gleichgültigkeit der Kunden und der Ignoranz des Gesetzgebers konnten Lidl & Co. bisher fest rechnen. Die lächerlich geringen Geldbußen wegen Missachtung des Arbeitsrechts, Betrugs oder illegaler Preisabsprachen bezahlen die Billigheimer aus der Portokasse. Es ist schamlos, wie die Aldi-Brüder und der Lidl-Chef Dieter Schwarz mit Abstand die Liste der reichsten Deutschen anführen, und gleichzeitig ihren Angestellten Hungerlöhne zahlen oder wie Schlecker versucht, Tarifverträge per Leiharbeit auszuhebeln. Wem das zum Leben nicht reicht, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich vom Staat das Wenige durch Hartz IV aufstocken zu lassen. Zwar haben wir die Arbeits- und Armutsverhältnisse unseres amerikanischen Bruders noch nicht erreicht. Aber wenn die Löhne weiter stagnieren oder fallen, werden sich immer mehr Menschen mehr Jobs gleichzeitig suchen müssen, um auch nur halbwegs über die Runden zu kommen. Dass jeder siebte Bürger der USA nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens verdient, können wir uns für Deutschland nicht wünschen.
Mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns würde nicht nur die jährlich wachsende Kluft zwischen Arm und Reich wieder kleiner. Auch dem Treiben der Zeitarbeitsfirmen und Niedriglohnbranchen würden dann endlich Grenzen gesetzt. Soweit wollen es die empörten Politiker in der Bundesregierung dieser Tage aber wohl doch nicht kommen lassen. Sie träumen noch immer davon, dass Zeitarbeit feste Arbeitsplätze schafft und nicht massenhaft abbaut und der Einzelhandel nach vernünftigen Tarifen bezahlt. Wie der Fall Schlecker und viele andere beweisen, sind wir aber von gerechten Löhnen und gleichen Arbeitsbedingungen hierzulande weiter entfernt denn je.